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Die WahrheitDie Wachtel – eine Wertung

Kolumne
von Jürgen Roth

Es ist nun endlich an der Zeit, den gern im Verborgenen lebenden Vogel ins Licht der Öffentlichkeit zu zerren und schonungslos zu kritisieren.

S eit Nimrods Zeiten und früheren Tagen drängt sich den Menschen immer wieder – und sonntags in höchstem Maße – die belastende, bedrängende und biestige Frage auf: Was wollen Wachteln? Und wieso wollen sie was – und warum wollen sie nicht vielmehr nichts?

„Weh, weh, weh! / Wachtel in spe!“, lautet ein Kinderreim, der vom Nordkap bis zum Kap Hoorn aus christbaumkugelhellen, vor Angst vibrierenden Kehlchen schallt. Und „Wachtel? / Alte Schachtel!“ war der Leiderfahrungen bezeugende Leitspruch des Ornithologischen Mittwochsstammtisches der Bremerhavener Watvogelfreunde, der von Mitte 1947 bis Anfang 1948 in der ersten Woche jedes Dezembers in einem geraden Jahr tagte und dessen Motto dieser Tage in Birder-Kreisen rund um den Globus zirkuliert. Im angelsächsischen Sprachraum zum Beispiel raunen sich Avi-Aficionados zu: „Quail? /Don’ttrail!“

Überall und über alle Zeiten hinweg warnen wir Menschen uns gegenseitig vor den Wachteln, vor den im verborgenen wühlenden Erdfasanen, deren schaurige Schlagrufe (“Dig! Digdig!“ / „Grab! Grabgrab!“) uns als Menetekel zu Ohren gelangen, auf dass wir uns, den Schrecken zu bannen, ungeheuren Mengen Schnaps anvertrauen.

Eine Ausnahme machte der sogenannte Freigeist Heinrich Heine. In der Briegleb-Ausgabe der „Sämtlichen Schriften“ findet sich der apokryphe Vierzeiler „Zum Wein, zum Wein, zum welschen Wein! / Wer will des TrankesG’nießersein? //Lieb’Hahnenland, magst ruhig du sein, / Die Wachtel säuftdein’Hammerwein!“

Der besänftigende, bacchantisch-ontologische Endreim „Wein / Sein / Sein / Wein“, der auf allzu täppische Weise das im Wachteligen wabernd wütende Wilde wohlbedacht wimmernd wegwischen will, konnte allerdings bis vor Kurzem selbst aufs äußerste wohlwollende Philologen nicht über das Wesen und den Willen der Wachteln täuschen; bis in einem 600-seitigen Buch vor einigen Tagen ein Gedicht entdeckt wurde, auf der versteckten Seite 41, verfasst von einem Magister Fritz „Wachtel“ Bernstein. Drei Strophen umfasst es, und im Titel heißt es alternativlos alliterativ-interrogativ: „Weltmacht Wachtel?“

„Schaut euch nur die Wachtel an! / Trippelt aus dem dunklen Tann; / tut grad so, als sei sie wer. / Wachtel Wachtel täuscht sich sehr. // Wär sie hunderttausend Russen, / hätt den Vatikan zerschussen / und vom Papst befreit – ja dann: / Wachtel! Wachtel Dschingis Khan! // Doch die Wachtel ist nur friedlich, / rundlich und unendlich niedlich; / sie erweckt nur Sympathie. / Weltmacht Wachtel wird sie nie!“

Nun und fortan seien mithin Kinder, Greise, Radfahrer, Altvögte, Atomphysiker und Hirnforscher froh! Seien wir all erlöst von Erd- und Erzübeln vielerlei! Vielerlei Frohheit und viel „Weltheit“ (M. Tetzlaff) und viel Frauheit obsiege und herrsche, und balde werde der 1. FCN Deutscher Meister, und die Eintracht – Braunschweig oder Frankfurt? Egal! – werde Vizechamp, und es sei prima, cheerefe, Wachtel, juchhe! Wachtel, heißa! Wachtel!

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