Die Wahrheit: Bambis im Blutrausch
Wie die Hauptstadt Berlin genmanipulierte Wildtiere einsetzt, um öffentliche Räume gründlich zu reinigen.
Spandau an einem Donnerstagmorgen, 7.15 Uhr: Der Vorgarten von Herbert Ursus sieht aus wie ein irakischer Wochenmarkt nach dem letzten Anschlag. Nichts als Krater und Trümmer, aufgewühlte Erde, geborstene Regenfässer, umgeworfene Gartenmöbel und überall Dreck, Äste und Fäkalien. "Es ist furchtbar, was diese Tiere uns angetan haben. Nichts wird mehr so sein wie früher", klagt Ursus und nimmt zitternd die Hand seiner Frau, die wie weggetreten neben ihm ins Leere starrt. Dabei sollte dieser Garten ihr kleines Paradies im Ruhestand werden.
Ortswechsel: Berlin, U-Bahn-Linie 5, kurz hinter der Station Weberwiese, 9.22 Uhr. Elfriede Schmolleck zeigt auf den Platz neben ihr. "Sehen Sie, der Fleck da! Da hat der einfach hingemacht! Und dieser Gestank, wie Ammoniak beißt das." Elfriede wurde Opfer eines Randsozialen, eines zombiehaft durch Stadt schlurfenden Wracks, das bestialischen Gestank verströmt und unbedarfte Bürger wie die Witwe Schmolleck an den Rand eines Nervenzusammenbruchs treibt. "Schlimm, was aus den Leuten werden kann", meint Elfriede, während sie in der Handtasche nach dem Desinfektionsspray sucht.
Vorfälle wie diese waren bis vor kurzem die bekannten Symptome der beiden großen biologischen Probleme Berlins. Während in den Vororten Horden hungriger Wildtiere in die Stadt eindrangen und alles verwüsteten, streunten andernorts fürchterlich verwilderte Menschen durch die Parks und öffentlichen Verkehrsmittel. Beides machte den Verantwortlichen der Stadt zu schaffen, vor allem da die Größenordnung des Problems seit einiger Zeit unaufhörlich wuchs. Aber weil den Phänomenen auf herkömmliche Weise nicht beizukommen war, entschied man sich nun für eine umstrittene Lösung, die sich als ebenso brachial wie perfide entpuppte. In einer großangelegten Nacht-und-Nebel-Aktion wurden in den Wäldern in und um Berlin Köder mit hochdosierten Hormoncocktails ausgelegt, die die Tiere auf genetischer Ebene manipulieren und für die Jagd auf Randsoziale abrichten sollten.
Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Die ersten Opfer erwischte es in Berlin-Neukölln: Kaum hatten es sich Dosenharry und der ranzige Randy auf ihren Bänken bequem gemacht, da hörten sie ein Geräusch aus dem Gebüsch. Dort erblickten sie ein junges Rehkitz, das zaghaft an einem Grashalm äste. Das Herz ging den beiden auf, und sie wollten es nur einmal berühren. Doch kaum hatten sie sich einen Schritt genähert, stürmten drei rasende Rehe aus der Finsternis und zerfleischten Harry und Randy in Windeseile. Nichts blieb von ihnen, außer einer hellbraunen Cordhose und einer Plastiktüte voller Bierflaschen.
Schnell machten Gerüchte die Runde, die die Pennerszene in Aufruhr versetzen - von Killerkitzen war die Rede. Doch es war schon zu spät und die Aktion außer Kontrolle. Denn was als moderate soziale Reinigung der Parks und Unterführungen gedacht war, entwickelte sich zu einer unkontrollierten Plage. Nachdem alle Obdachlosen verputzt waren, suchten sich die blutrünstigen Bambis und Ferkel neue Objekte ihres Jagdinstinkts. Schon bald fingen sie an, die Arbeitsagenturen zu stürmen, um die dort wartenden Hartz-IV-Empfänger ratzeputz aufzufressen. Auch Straßenmusiker und sogenannte Atzen fielen ihnen immer häufiger zum Opfer.
Die Meinungen zur entgleisten Aktion sind seitdem sehr geteilt. Während aus Regierungskreisen zu hören ist, dass dies im Grunde eine gute Sache mit positiven Effekten für den Haushalt sei, prangert die Opposition den sozialen Kahlschlag an. Ungeachtet dessen diskutieren mittlerweile auch andere Städte über ähnliche Modelle. Die findigen Berliner bieten deshalb an, ihre gut trainierten Tiere zu verleihen, zu entsprechenden Konditionen natürlich. Düsseldorf und München haben angeblich schon einige Dutzend bestellt. Selbstverständlich will man die gefährlichen Viecher in Berlin nicht nur aus rein monetären Gründen loswerden. Da die Tiere bei ihrem Fressverhalten strikt der sozialen Rangordnung folgen, stünden als Nächstes Politiker auf dem Speiseplan.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich