Die Wahrheit: Als Franz Kafka bei den Beatles Bass spielen sollte
Sämtliche Schallplatten, die wir in unserem Fachgeschäft zum Kauf anbieten, habe ich selbst ganz allein aufgenommen.
Das dazu nötige Gerät hat mein Vater nach einer Vision rein intuitiv, also völlig ohne Bauplan, angefertigt. Es dient uns noch zu einem weiteren Zweck: Jeder, der will und dafür bezahlt, kann in unserem Geschäft selbst Tonaufzeichnungen machen.
Ich erinnere mich gut an einen Vorfall: Mein Vater war eines Nachmittags auswärts mit einem Spezialauftrag beschäftigt: Er baute dem Pfarrer eine Mundharmonika ins Auto ein. Ich war allein im Laden, da kamen vier junge Burschen herein. Sie redeten in einem fort von Schallplatten, und zuerst dachte ich, sie wollten eine kaufen, doch stellte sich bereits ein paar Flaschen später heraus, dass sie im Gegenteil eine aufnehmen wollten. Irgendwie mussten sie von unserem Bandgerät erfahren haben. Es waren die legendären Beatles, die damals noch niemand waren. Sogar ihr Englisch war noch sehr dürftig, daher sprachen und sangen sie meist Deutsch - übrigens mit hohen, schrillen Stimmen.
Ihr erstes selbst komponiertes Lied hieß ungefähr "Du lachst mir aus der Hand", wenn ich nicht irre. Bevor wir es aufzeichnen konnten, mussten wir ein Problem lösen. Sie ekelten sich alle davor, den Bass zu bedienen, und zwar so sehr, dass sie keinen hatten. Ich schlug, ohne nachzudenken, meinen Schulfreund Franz Kafka als Bassisten vor, obwohl er weder ein solches Instrument noch die Fähigkeit, es zu spielen, besaß. Ich hoffte, auf diesem Wege, mit seiner Schwester, nach der alle jungen Männer des Vororts verrückt waren, in Berührung zu kommen.
Noch vor Sonnenuntergang gingen wir zu den Flachbauten des Ausländer-Wohnheims, wo Familie Kafka wohnte. Wohlgemut warfen wir bei Kafkas eine Fensterscheibe ein, und Franz kam heraus. Während die Beatles verlegen dabeistanden und fremdelten, trug ich ihm unser Problem vor. Seine Schwester bekamen wir leider nicht zu sehen.
"Bass also, hm?", räsonierte Franz, seine billige Hundezigarre paffend. "Ja", antwortete ich, "überrede deinen Vater, er soll dir einen kaufen, und lerne schnellstens, darauf zu spielen. Wir zählen auf dich." - "Ich will es versuchen. Gute Nacht."
Damit verschwand er hinter der zuknallenden Haustür. Wir Übrigen bissen uns voll ängstlicher Zweifel auf unsere Unterlippen. Würde Franz es schaffen, die für den Bass notwendige Geldsumme aus seinem Vater herauszuprügeln? Und falls ja, würde er auch eifrig spielen lernen oder immerfort nur mit einer Münze an den Saiten herumkratzen? In diese Betrachtungen war ich noch ganz vertieft, als mein Vater spät abends in den Laden zurückkam. Sein Gesichtsausdruck verriet überdeutlich, dass er den Wagen des Pfarrers ruiniert hatte. Die Mundharmonika hing leblos an ihm herunter.
"Was tust du da?", fragte er zornig. "Ich bin ganz Musikwissenschaftler", erwiderte ich, "ich will Franz Kafka und die Beatles zusammenbringen." Mein Vater erklärte, so etwas habe ihm gerade noch gefehlt.
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