Die Wahrheit: Hasen und Hornhäute
Wo Sadomasochisten auf Kaninchenzüchter treffen: beim Dachverband der Lobbyisten kam es zum Eklat. Hasen sind schließlich auch Menschen, nur mit mehr Haaren.
Lobbyismus gehört in Deutschland zum guten Ton wie Kondolenzbekundungen zur Totenmesse. Die schwarze-gelbe Traumkoalition schwebt seit ihrem Regierungsstart in ungeahnten Lobbyhöhen: Hotel-, Atom-, Pharma-, Haus- und Grundbesitzer, Arbeitgeber- oder Automobillobby - sie alle durften schon ein bisschen auf Kuschelkurs gehen mit der "Regierung der Herzen" (Guido Westerwelle). Doch das sind nur eine Handvoll der bekanntesten Lobbyvertreter.
Deutschland ist Heimat so vieler unterschiedlicher Interessenverbände, dass, um überhaupt ein bisschen Übersicht in den Dschungel der Interessen zu bringen, sich nun ein Dachverband der Lobbyisten gegründet hat: der LAL e.V. (Lobbyisten aller Länder). Ziel des Vereins ist, Lobbyinteressen zu bündeln und damit noch effektiver Einfluss auf die Regierung auszuüben. Gisela Freifrau von Bünden, Vorstandvorsitzende von LAL, weiß um die Schwierigkeit dieser Aufgabe: "Wir vertreten ja alle Interessen aller Verbände in Deutschland. Da braucht man schon etwas Fingerspitzengefühl bei den oft hitzigen Diskussionen."
LAL hat zu ersten konstituierenden Sitzung des Dachverbandes nach Hamburg eingeladen, und der Sitzungssaal im Rathaus droht aus allen Nähten zu platzen. Die Deutsche Orchestervereinigung e.V. spielt zur Begrüßung "Eye Of The Tiger", die Vertreter vom Deutschen Verband für Freikörperkultur tanzen dazu - etwas zu ekstatisch, ein wenig zu unbekleidet. Alle scheinen gekommen zu sein, bis auf den Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie. "Ich habe ein Schreiben bekommen, in dem sich der Bundesverband für das Treffen entschuldigen wollte. Das war kaum zu entziffern, aber die scheinen sich irgendwie mit dem Datum vertan zu haben", erklärt Frau von Bünden.
Kurz vor der Eröffnungsrede kommt es bereits zu einem ersten Eklat. Die Abgesandten vom Deutschen Institut für Normung haben während des Begrüßungslieds angefangen, die Instrumente der Orchestervereinigung auf die Soll-Maße zu überprüfen und offensichtlich signifikante Abweichungen festgestellt. "Die Oboe ist fünf Zentimeter über DIN 78-2! Glauben Sie, ich nehme das einfach hin?", ruft Bernd Flemming, Vorstandsvorsitzender der DIN-Verfechter, empört durch den Saal, während ein genervter Musiker versucht, ihm die Querflöte in den Bauch zu rammen.
"Jetzt wirds interessant!", quietscht begeistert Frau Elberfeld-Krause von der Bundesvereinigung Sadomasochismus e.V. Die Situation droht zu eskalieren, doch Gisela Freifrau von Bünden ist auf solche Fälle vorbereitet und schickt Ernesto Panccini vom Bundesverband Mediation zum Schlichten.
Nach ein paar einleitenden Begrüßungsworten geht Frau von Bünden zum ersten Tagungspunkt über. Eine Fusion soll diskutiert werden. Der Bundesverband der Kantinenpächter hat vorgeschlagen, mit dem Bund Deutscher Kaninchenzüchter zu fusionieren. "Kantinenpächter, Kaninchenzüchter - wenn die Namen schon so gleich klingen, dann braucht es auch nur einen Verein!", begründet Elfriede Konstantinopel profund ihr Anliegen. Der Abgesandte der Kaninchenzüchter kann seine Position allerdings nicht darlegen, denn er wird im selben Moment von einem drei Meter großen Hasen attackiert. Ein Aktivist der Aktion Tier - Menschen für Tiere e.V. brüllt, während er im Hasenkostüm auf den völlig überraschten Kaninchenzüchter zuhüpft: "Kaninchen sind auch Menschen! Nur mit mehr Haaren! Nieder mit der grausamen Stallhaltung!"
Mitten in das Chaos stürzt ein blasser Mann, Mitte dreißig, mit leicht rußverschmiertem Gesicht zum Rednerpult und ergreift das Mikrofon: "Das Wichtigste ist doch, dass jeder einen Schornstein auf dem Dach hat!" Es ist Anton Kleinbauer von der Initiative Pro Schornstein. Nur Sekunden später wird er zur Seite geschubst von Helena zu Rantzau, die ihre Schuhe auszieht und den verdutzten Interessenvertretern ihre nackten Fußsohlen vor die Nase hält. "Mit so einer Hornhaut braucht man gar keine Schuhe mehr!" Sie vertritt Fuß e.V., den Fachverband Fußverkehr Deutschland.
Das Entsetzen im Saal ist greifbar. Gisela Freifrau von Bünden verliert nun sichtlich die Fassung. Ganz am Ende des Saals, direkt beim Eingang, sitzt ein junger Mann, dessen Gesicht ein feines Lächeln erhellt. Auf die Frage, welchen Verband er denn vertrete, antwortet der Mann: "Ich bin von Lobby Control. Zunächst waren wir ja etwas besorgt über den Dachverband LAL, aber wenn ich mir das hier so angucke, erledigt sich das schon von selbst."
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