Die Wahrheit: Die fliegenden Fische von Skellig
Noch vier Wochen bis Ostern. Jedenfalls auf Skellig Michael, einer winzigen Insel vor der irischen Südwestküste ...
... "Skellig" bedeutet "Splitter eines spitzen Steins", und das trifft die Sache ziemlich genau. Warum lassen sich Menschen auf einem kargen Felsbrocken im Atlantik nieder, auf dem es weder Bäume noch Trinkwasser gibt? Es muss irgendetwas mit Religion zu tun haben.
Jedenfalls ruderten zwölf Mönche und ein Abt im sechsten Jahrhundert vom Festland auf die Insel und gründeten 588 ein Kloster hoch oben auf dem Felsen. Um es sich gemütlich zu machen, bauten sie Bienenkorbhütten und zwei bootsförmige Andachtsräume. Sie trafen sich nur einmal am Tag zur Messe, ansonsten widmeten sie sich den Gemüsebeeten: Karotten säen und Gott anflehen, dass die Saat aufgeht. Hauptsächlich ernährten sie sich aber von Papageientauchern. Durch einen Trick durften die auch freitags und zur Fastenzeit verspeist werden, denn die Vögel ernährten sich ausschließlich von Fisch, weshalb die Mönche sie kurzerhand ebenfalls zu Fischen deklarierten.
Weil der Abstieg zum Wasser recht mühsam war, bauten die Mönche eine Treppe mit 2.300 Stufen, alle exakt sieben Zoll dick. Die Unesco hat die Fleißarbeit 1996 gewürdigt und Skellig Michael zum Weltkulturerbe ernannt. Aber die Mönche waren nicht nur fleißig, sondern auch dickköpfig. Als der gregorianische Kalender eingeführt wurde, hielten sie am julianischen Kalender fest. Fortan herrschte auf Skellig eine andere Zeit. Im Jahr 1700 hinkte die Insel 11 Tage hinterher, seit 1900 sind es 13 und ab März 2100 werden es volle zwei Wochen sein. Bei dem Tempo dauert es noch ein paar Jahrtausende, bis auf Skellig Ostern im Herbst gefeiert wird.
Aber für manche Sünder war die Zeitverschiebung entscheidend für ein Leben in Schande oder Ehrbarkeit. In der Fastenzeit durfte in Irland nämlich nicht geheiratet werden. Wenn eine ledige Frau schwanger wurde und sich die Sache nicht bis Ostern vertuschen ließ, hatte sie noch eine Galgenfrist, um geschwind auf Skellig zu heiraten.
Schon damals legten die Iren den Grundstein für ihren heutigen Ruf. Um die Fastenzeit zu verkürzen, strömten viele nach Skellig Michael, um dort Trinkgelage mit Tanz und Musik zu veranstalten, bis die Einsiedlermönche die Nase voll hatten und dem Treiben ein Ende bereiteten. Heutzutage wird die Insel wieder von Touristen beherrscht, die Mönche sind von den Wikingern verjagt worden, die den Felsen aus unerfindlichen Gründen eroberten.
Zwei US-amerikanische Touristen sind vor anderthalb Jahren auf Skellig Michael abgestürzt und umgekommen. Ihre Ehepartner haben Klage gegen den irischen Staat eingereicht, weil die Felseninsel nicht ordentlich abgesichert sei. Hätte man Rolltreppen und Absperrgitter bauen sollen? Besser wäre es, die klagefreudigen Amis direkt neben dem Dubliner Flughafen in ein Miniirland zu stecken, das mit Kobolden, Feen, Pubs und Skellig Michael ausgestattet ist. Alles aus Watte, damit sie sich nicht wehtun.
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