Die Wahrheit: Das Ende der Verenkelung
Vorigen Donnerstag war es wieder so weit: Die Joyce-Irren sind über Dublin hergefallen, um den Bloomsday zu begehen.
107 Jahre zuvor hatte Leopold Bloom, der Romanheld aus dem "Ulysses" von James Joyce, die Tür seines Hauses in der Eccles Street hinter sich zugezogen und sich auf eine 18 Meilen lange Odyssee durch die irische Hauptstadt begeben. Jedes Jahr kommen Tausende Joyceaner am 16. Juni nach Dublin, um wenigstens ein paar hundert Meter auf Blooms Spuren zu wandeln.
Allerdings dürfen sie nicht laut aus dem Werk lesen. Darüber wacht Joyces Enkel Stephen, der meint, dass man Joyce nur still und andächtig genießen darf, am besten auf den Knien. Seit er 1991 pensioniert wurde, ist er nur noch Enkel. Der 79-Jährige hat zahllose Prozesse geführt, um zu verhindern, dass aus Opas Schriften zitiert wird. Er hat Bücher über Joyce und die Familie verbieten lassen, Theaterstücke und Lesungen unterbunden und die Briefe seiner schizophrenen Tante Lucia an ihren Vater James verbrannt, damit sie nicht in falsche Hände fallen - also in Hände, die nicht seine eigenen sind. Von der Dubliner Stadtverwaltung verlangte er, den Bloomsday in "Ulysses Day" umzubenennen, denn Leopold Bloom tauche erst im dritten Kapitel auf.
Joyce, zu Lebzeiten einer der meist zensierten Schriftsteller, wird lange nach seinem Tod vom Enkel noch strikter zensiert. "Ich bin kein Joyceaner", sagt der gern, "sondern ein Joyce." Er besteht darauf, mit seinem vollen Namen zitiert zu werden: Stephen James Joyce. Viele Literaturwissenschaftler haben aus Angst vor ihm gar nicht erst begonnen, Joyce zu erforschen. "Akademiker sind wie Ratten und Läuse - sie gehören ausgerottet", sagt Stephen Joyce. Dem Professor einer US-amerikanischen Universität untersagte er, auch nur an Joyce zu denken, weil er den Namen des Fußballteams der Uni, "Die Kesselmacher", vulgär fand. Für eine multimediale Version des "Ulysses" an der University of Western Ontario verlangte er anderthalb Millionen Dollar, worauf das Projekt begraben wurde.
Wenn irgendwo auf der Welt der Name Joyce fällt, ist der Enkel mit seinem Anwalt zur Stelle. Was für ein erbärmliches Leben. Maria Jolas, eine Freundin von James Joyce und seiner Frau Nora, sagte einmal über Stephen: "Ich finde seine müßige, intellektuell mittelmäßige Existenz bedauernswert. Er ist voll ungerechtfertigter Arroganz." Doch zum Jahresende ist Schluss mit der Verenkelung: Dann erlischt das Copyright, denn Joyce ist vor 70 Jahren gestorben. An Dublins Bloomsday im nächsten Jahr darf man zum Verdruss des Enkels endlich auch Lesungen und Theaterstücke ins Programm nehmen.
Jetzt brauchen die Iren nur noch den passenden Präsidenten. Im November wird gewählt. Der Joyceaner David Norris, der sich noch nie um Stephen Joyces Verbote geschert hat und gern als Joyce-Double auftritt, steht in den Startlöchern, bei den Meinungsumfragen liegt er weit vorn. Er wäre der erste offen schwule Präsident in Europa. James Joyce würde sich darüber freuen. Sein Enkel nicht.
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