Die Wahrheit: Mission mit Dose
Karl-Theodor zu Guttenbergs Schicksalstage in Amerika.
Ein Schloss mit Park, wenigstens eine Villa mit Parkplatz hätte man schon erwartet. Eine Straße, die sich vom geschmiedeten Eingangstor durch eine Pappelallee schlängelt, bis hin zum kiesgesättigten Vorplatz, wo ein elegant gekleideter Bediensteter die Autotür öffnet und dem Besucher ein hosentaschenwarmes Minzplätzchen zur Begrüßung in die Hand drückt.
Stattdessen bewohnen die zu Guttenbergs einen schlichten Wohnwagen in einem Trailerpark in Connecticut. Müll und Gerümpel säumen die Parzelle, auf der zwei schmutzverkrustete Mädchen mit einer toten Ratte spielen. Guttenbergs Töchter? Es wirkt wie eine Szene aus Zeiten des New Deals.
Ein Jägerzaun liegt unbeachtet auf dem zugehörigen Rasenstück. Er wurde bis jetzt nicht aufgebaut und ist das einzige Andenken, das der einstige Shootingstar der deutschen Politik bei seiner Ausreise mit über den großen Teich nahm.
Ein Relikt aus einer Zeit, in der Karl-Theodor zu Guttenberg zusammen mit anderen Adeligen hoch zu Ross auf Treibjagd ging und leidenschaftlich über die Wiedereinführung der Monarchie philosophierte. An guten Tagen durfte jeder ein Stück Zaun als Belohnung fürs bloße Existieren mit nach Hause nehmen.
Der Hausherr persönlich öffnet die beige Plastiktür. Ungewohnt leger gekleidet ist er. Der graue Bademantel bedeckt kaum die behaarten Männerbeine, die darunter hervorlugen. Die käsig weißen Füße stecken in blauen Adiletten-Kopien. Nur die Gelfrisur ist die alte. Ein Geruch von Alkohol und Zahnpasta erfüllt die Luft, als der Hausherr ein volles "Come in and find out!" zur Begrüßung schmettert. Aus dem Hintergrund dröhnt ACDCs "Highway to Hell".
Gibt sich zu Guttenberg das erste Mal ungekünstelt und zeigt sein menschliches Antlitz? Oder sind das übernächtigte Gesicht und die Bartstoppeln Insignien eines gebrochenen Mannes? Hat er sich den Wirbel um die Plagiatsaffäre, die postamtliche Prügel wegen der verkorksten Bundeswehrreform und die Kritik an seinen überkandidelten Auftritten doch ernsthaft zu Herzen genommen?
Zu Guttenberg bedeutet uns, ihm zu folgen. "Schluss mit dem Herr zu Guttenberg blabla! Nennt mich Dschi! So wie bei Ali G.", fordert er. Während "Dschi" in der Tür verschwindet und durch den schmalen Flur vorausgeht, kickt er ungelenk leere Bierdosen aus dem Weg. Sein Fuß trifft auf eine noch halb gefüllte Dose, deren Inhalt sich sofort über den fleckigen Boden verteilt. Schnell hebt er sie auf und nimmt einen tiefen Schluck. "Ahhh, shit! Fucking good shit!", ruft zu Guttenberg rülpsend, leert die Dose und pfeffert sie durch die Tür einem der beiden Mädchen an den Kopf.
Dann schnappt sich der Exminister eine frische Dose aus dem Kühlschrank und versucht sie erfolglos mit einem Schraubenzieher aufzustechen. Nach einem Zug aus der konventionellen Öffnung flegelt er sich ungeschickt in die betagte Couchecke des Wohnbereichs. "Das ist das wahre Leben! Trash, Mann, Trash! Dieser Adels-Abschaum mit seinen Empfängen, dieser ganze Charity-Shit, dieser altfränkische Wagner-Wahn …", steigert sich der der ehemalige Liebling der Massen jetzt in eine urwüchsige Tirade hinein: "Alles Shit! Holy Shit! Hier im Land of the Free zählt allein der Mensch, nicht der Titel!" Es klingt, als würde zu Guttenberg in Anführungszeichen sprechen. Und das tut er auch, wenn er mühsam nach jedem einzelnen seiner markigen Worte sucht und es mit seinen Sprechwerkzeugen durchkaut.
Ob seine Freifrau auch zu Hause sei? "Ach, die Bitch ist gerade einkaufen. Fleisch. Fürs Barbecue. Wenn ich an den ewigen Hummer früher denke, wird mir schlecht! Shit! Wir einfachen People essen Fleisch! Das grillen wir, damit es schön schwarz wird! So richtig mit Holzkohle!"
Einige Dosenbiere und zahlreiche Anekdoten später verliert Guttenberg kurzzeitig die Kontrolle. Mit schwerer Zunge kündigt er verschwörerisch an, dass das, was er jetzt verrate, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sei. "Ich tu mir das doch nicht freiwillig an! Das ist ein geheimer Parteiauftrag der CSU! Herausfinden, wie die ganz unten ticken. Und wo kann man das besser als in der ärmsten Supermacht der Welt, die USA. Und wenn ich dann alles verstanden habe, dann komme ich zurück und die Menschen werden mir zu Füßen liegen. Erst in Bayern, dann in Deutschland und morgen die ganze Welt!"
Karl-Theodor zu Guttenberg oder das, was von ihm übrig geblieben ist, bricht in ein heiseres Gelächter aus, das bald in ein knarzendes Schnarchen übergeht. Eins ist sicher: Der Mann hat eine Mission. Und dabei werden wir ihn vorläufig nicht weiter stören …
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott