Die Wahrheit: Klug wie ein Löffel
Schauspieler Moritz Bleibtreu hat noch echte Freunde.
"Soziale Netzwerke treiben uns unter dem Vorwand der Freiheit in die Isolation. Die Leute denken, sie haben Freunde, aber wer sagt dir denn, dass diese Freunde wirklich existieren … Wir vereinsamen in unseren Selbstinszenierungen." Das sagte der 40-jährige Schauspieler Moritz Bleibtreu unlängst dem Focus im Interview.
Bei diesen überaus klugen und kritischen Worten merkt man doch gleich: Hoppla, hier hat aber mal jemand so richtig gründlich nachgedacht, den unermesslichen emotionalen und intellektuellen Schatz seiner Lebenserfahrungen brillant umgebrochen, im gülden reflektierenden Produkt dieses Umbruchs aktuelle Zeiterscheinungen wie soziale Netzwerke gespiegelt und das Resultat der Spiegelung über das wohl meinungsbildendste Magazin unserer Epoche mit der Elite eines immer ungeahntere Höhen erklimmenden Alphabetisierungsprozesses geteilt.
Eine solche Hammerleistung muss ihm erst mal einer nachmachen! Dagegen wirken die kluge Eule, die weise Schildkröte und der scharfsinnige Luchs wie Trottel, die gern Radioreklame hören. Vernimmt der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg auch nur von Weitem die Stimme des unerhörten Mimen, beginnt er auf der Stelle, unkontrolliert am ganzen Leib zu zittern und seine Friends mit Angstschweiß zu markieren. Denn Moritz Bleibtreu kennt die Isolation unter dem Vorwand der Freiheit. Er kennt die Einsamkeit in der Selbstinszenierung. Vor allem aber kennt er jede Menge Freunde, die nicht wirklich existieren.
Da ist zum einen jener treue Kamerad, der sich stets verlässlich um zwei Uhr morgens telefonisch bei ihm meldet. Wenn am anderen Ende der Leitung Stille herrscht, dann weiß Moritz Bleibtreu: Das ist der nicht existierende Freund, der immer anruft. Ein stummer Hilfeschrei, mitten in der Nacht. Doch wie soll er helfen? Und wem?
Daneben gibt es noch den Kumpel, der ihn immer nach Filmpremieren besucht. Doch, Hand aufs Herz, was soll das bitte für ein Freund sein, der, egal ob existent, Spuk oder Hirnschiss, ihn jedes Mal verprügelt, das Appartment verwüstet, neben die Kloschüssel kotzt, und dann, wenn Bleibtreu mit Prellungen am ganzen Körper sowie einem üblen Brummschädel erwacht, längst verschwunden ist? Im Türstock steckt ein abgebrochener Schneidezahn, die Katze hockt zitternd auf der Lampe und der Lola für die beste Nebenrolle hat jemand einen Hitlerbart aus blutigen Kokainresten angeklebt. Wer solche nicht existierenden Freunde hat, braucht sich um nicht existierende Feinde wirklich nicht zu sorgen.
Nein, da ist ihm doch sein alter Jugendfreund viel lieber. Was waren das noch für Abenteuer! Im Sommer haben sie sich nur zu zweit ein Wohnmobil gemietet, und sind damit bis runter auf den Peloponnes gefahren. Die ganze Strecke in einem Stück, haben sie sich Tag und Nacht am Steuer abgewechselt. Serpentinen in Slowenien, kurze Autobahnabschnitte in Serbien, kurvige Straßen voller Schlaglöcher in Mazedonien - vor allem wenn der nicht existierende Freund mit Fahren dran war, wurde es kritisch: Da schreckte der schlafende Bleibtreu schon mal hoch, wenn das Wohnmobil inmitten eines Hupkonzerts scheinbar unkontrolliert durch die Nacht schlingerte. Dennoch hat er dem Freund blind vertraut, und letztlich ist ja auch immer alles gut gegangen. Das verbindet. Noch heute unternehmen die beiden eine Menge miteinander.
Des Weiteren ist da noch der nicht existierende Gefährte, der ihm rät, welche Rollen er unbedingt annehmen soll, und der Dicke mit der Mütze, der ihm seinen Stoff besorgt; und schließlich der Kollege, der ihm so unglaublich ähnlich sieht, und deshalb oft an seiner Stelle zu besonders lästigen Interviewterminen geht.
Alle zusammen eine ziemlich muntere Bande, die Bleibtreu vor der Vereinsamung bewahrt, und ihn darin bestärkt, sich von tückischen sozialen Netzwerken wie Familie, Ehe und real existierendem Freundeskreis nicht weiter in die Isolation treiben zu lassen: "Kindergeburtstage, Hochzeiten, Beerdigungen - da geh ich schon lange nicht mehr hin. Wo soll da, bitte schön, die Freiheit sein?"
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