Die Wahrheit: Reis aus Castrop-Rauxel
Land-Grabbing: Koloniale Landnahme in deutschen Kleingärten.
Bisher war es ein Problem, das andere hatten. So wie Kinderarmut, Dürrekatastrophen, Hungersnöte und Despotendämmerung: Land-Grabbing - moderner Agrarkolonialismus. Ausländische Investoren kaufen oder pachten Millionen Hektar Land in Entwicklungs- und Schwellenländern in Afrika, Asien und Lateinamerika, um dort Agrarprodukte anzubauen und in ihr Heimatland zu exportieren.
Doch die Ressource Boden wird immer knapper. Land-Grabbing ist mittlerweile in deutschen Kleingärten angekommen. Ganze Parzellen deutscher Schrebergärten befinden sich in ausländischer Investorenhand. Wo einst deutsch-deutsches Brauchtum gepflegt wurde, Gartenzwerg, Jägerzaun und Deutschlandfahne eine friedliche Koexistenz eingingen, wehen nun Flaggen fremder Staaten.
"Die Kinesen sind gekommen und ham dem Günter seinen Garten gekauft. Von ein auf die anderen Tag saß statt Günter da ein Kines am Plastiktisch. Dabei ham wa immer so schön zusammen Skat gespielt. Und jetzt? Bauen die Kinesen da Reis an! Die halbe Clubanlage steht unter Wasser! An manchen Tagen krieg ich nich ma mehr den Grill angezündet - alles platschnass!" Vereinsvorstand Oswald "Ossi" Schlakowski von der Grünen Laube e. V. in Castrop-Rauxel steht die Verzweiflung im Gesicht geschrieben. Der Verlust seines besten Freundes wiegt schwer. Aber auch die Sprachbarriere macht Schlakowski zu schaffen. "Versuchen Sie ma, denen die Skat-Regeln zu erklären! Die kennen nur Majong und kucken dich mit großen Augen an!"
Land-Grabbing betrifft nicht ausschließlich Schrebergärten. Auf der Suche nach neuem Boden klingeln dreiste Investoren auch an den Türen von Privathäusern. Vielen Hobbygärtner fällt es schwer, den unmoralischen Angeboten zu widerstehen.
Für die Pacht von einem Quadratmeter Grundfläche eines Gartens zahlen Großinvestoren bis zu 20 Euro im Monat. Komposthaufen werden sogar sondervergütet. Lothar Sperber willigte in den Pachtvertrag mit einem arabischen Großkonzern ein, um seine karge Rente aufzubessern. Von seinem kleinen zwanzig Quadratmeter großen Gartengrundstück hat Sperber zehn verpachtet. "In der Ecke war immer der beste Boden. Voller Stolz hat meine Frau dort grüne Bohnen hochgezogen. Seit zwei Monaten steht da jetzt eine Dattelplantage. Meine Frau mag nicht mal Datteln! Außerdem haben die meinen Zierfischteich für die Bewässerung trockengelegt."
Dabei locken die Investoren nicht nur mit finanziellen Anreizen ahnungslose Kleingärtner in die Investmentfalle. Gerade in ländlichen Gebieten verleiten großmundige Versprechungen, die lokale Infrastruktur auszubauen, manchen Privatmann vorschnell zum Pachtabschluss.
"Der Pächter hat mir zugesagt, meine Garageneinfahrt neu zu betonieren. Von wegen besserem Abtransport und so. Stattdessen haben die direkt hinter unserem Gartenzaun, da wo vorher die schöne wilde Wiese war, eine Landebahn hinbetoniert. Zweimal wöchentlich kommen die mit ihren Transportflugzeugen! Nur um festzustellen, dass Datteln in unserem Klima einfach nicht so schnell wachsen wie bei denen zu Hause!", beschwert sich Sperber. Deutschlands Hobbygärtner fühlen sich von der Politik allein gelassen und haben einen Interessenverband gegründet. Die Initiative KOLUMBUS setzt sich dafür ein, den drohenden Landverlust an ausländische Investoren aufzuhalten. Nach einer öffentlichkeitswirksamen Aktion, bei der KOLUMBUS auf der Rasenfläche vor dem Reichstag 5.000 Zuckerrohrpflanzen in den Boden setzte, äußert sich erstmals Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner in ihrer gewohnt frischen sach- und fachunkundigen Art: "Unsere Kinder spielen glücklich mit Spielzeug, das chinesische Kinder unter menschenunwürdigen Bedingungen herstellen. Es ist ein fairer Interessenaustausch im Rahmen der Globalisierung, dass diese Kinder zumindest ihre tägliche Portion Reis - mag sie noch so klein sein - aus unseren Schrebergärten bekommen!"
So lange sich politisch keine Lösung abzeichnet, versuchen die Mitglieder der Kleingartenanlage Grüne Laube e. V. in Castrop-Rauxel sich zu arrangieren. Jeden Dienstag findet ein internationaler Abend statt. Im Wechsel singen die buntgemischten "Laubenpieper" deutsches Liedgut, arabische Weisen und chinesische Arbeiterlieder. Oswald Schlakowski studiert das komplexe Regelwerk von Majong und hilft stundenweise, gegen ein kleines Entgelt, bei der Reisernte seiner neuen Nachbarn.
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