Die Wahrheit: Schweres Wasserlassen
Was der deutsche Spitzenkünstler Anselm Kiefer mit dem soeben von ihm erworbenen AKW Mülheim-Kärlich vorhat.
![](https://taz.de/picture/242279/14/muehlheim_kaerlich.jpg)
Zufrieden und tiefenentspannt sieht er aus, als er das Glas zu seinem Mund führt, dann schließt Anselm Kiefer die Augen und trinkt vor laufenden Kameras das Wasser. Nicht irgendein Wasser – die ziemlich trübe Brühe stammte nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa aus einer radioaktiven Pfütze im havarierten Atomkraftwerk Fukushima. Eigens importiert für diese verstörende Aktion des weltberühmten Künstlers. Was er uns damit sagen wolle, wird von den umstehenden Journalisten gefragt. Anselm Kiefer blickt streng in die Runde, rülpst dezent und sagt erst einmal gar nichts. Nur der Geigerzähler knattert munter vor sich hin. Nach einer Pause spricht er dann doch: "Was will ich denn mit nichtssagendem Leitungswasser? Was ich brauche, ist schweres Wasser."
Typisch Kiefer. Schwere Wasser gründen tief. Der Künstler, der für seine, die deutsche Geschichte durchdringenden Werke Höchstpreise erzielt, ist kein Freund modisch-glatter Zeitgeistbekenntnisse. Er ist ein Querdenker, Quertreiber und Vertreter deutschen Premium-Ernstes, der es mit seiner erdschweren Qualitätsgrübelei weit gebracht hat im internationalen Kunstbetrieb. Nun also will er seinen Schaffensbereich auf eine noch höhere Stufe hieven. Er will sich das vom Netz genommene rheinland-pfälzische Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich kaufen. "Dieses Atomkraftwerk ist so fantastisch, wunderbar, das ist mein Pantheon", sagte Kiefer im Spiegel-Interview. Nachdem er das Kraftwerk zusammen mit Jürgen Großmann, dem Chef des Energiekonzerns RWE, besucht habe, sei er "sicher, zumindest den Kühlturm zu bekommen". Atomkraftwerke seien die "fantastischste Form der Energieerzeugung" und hätten "etwas Mythologisches" an sich.
"Irgendwas mit Mythologie" – das klingt ganz nach dem künstlerischen Credo des Vollblutspachtlers: die Nibelungen, Parsifal, Siegfried und Brünhilde, Nothung, die Hermannsschlacht, Kyffhäuser – alle wurden sie schon von ihm durch den Kunstwolf gedreht. Aber auch internationale Blockbuster wie Gilgamesch, Isis und Osiris oder die Argonauten waren vor seinem bleiverlötenden Zugriff nicht sicher. "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Atomkraft eingestellt", bekennt der in Frankreich lebende Ausnahmekünstler, der sich nun offenbar der jüngeren Vergangenheit zuwenden will. Zwar gibt es im Nachbarland wesentlich mehr Reaktoren, aber der Kern will auf deutschem Boden gespalten sein. Mülheim-Kärlich also.
Über konkrete Nutzungspläne für den Meiler hat sich Kiefer auch schon Gedanken gemacht. Ein AKW für AKW soll es werden – für Anselm Kiefers Werke. Ein Gesamtkunstwerk aus dem Geiste der Romantik, konfrontiert mit der avanciertesten Technologie des modernen Menschen. "Die Deutschen trennen sich zu leicht und zu schnell von ihrer Geschichte", kritisiert Kiefer. Deshalb sein ganz privater Atomeinstieg. Begnügte er sich früher noch mit der Herstellung von Büchern und anderen ausstellungskompatiblen Kunstwerken, tendiert er in letzter Zeit eindeutig ins Großformatige. Seine raumgreifenden Installationen fänden in Mülheim-Kärlich einen angemessenen Präsentationsort, durchdrungen, ja kontaminiert von den Spaltprodukten jüngster deutscher Geschichte. Deren komplexe Thematik versucht er mit dem Kiefer-typischen Materialmix aus Erde, Stroh, Frauenhaar, Blei und Asche in magisch-beschwörende Werke zu bannen.
Und wenn das gewagte Projekt doch nicht gelingt, was dann? Kiefer wäre nicht der Tausendsassa des Kunstbetriebs, hätte er für solche Fälle nicht einen Plan B auf der Palette. Als aus dem Atomkraftwerk Fukushima kürzlich wieder eine unkontrollierte Kernspaltung gemeldet und über eine Kühlwasserleitung Borsäure in die Anlage geleitet wurde, kontaktierte seine Agentin umgehend das Betreiberunternehmen Tepco. Anselm Kiefer stehe bereit, sich bei der Rettungsaktion zu beteiligen und mit künstlerischen Mitteln eine mögliche Kettenreaktion zu bändigen.
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