Die Wahrheit: Rathäuser zu Massagesalons
Man gönnt sich ja sonst nichts. Die Bezirksverwaltung der englischen Stadt Wolverhampton hat sämtlichen Rathausangestellten einen Tag freigegeben ...
... und sie anlässlich des "Nationalen Tages für Stressbewusstsein" zur Massage geschickt, um ihre Spannungen abzubauen. Die Wellnesskur fand im Gemeindezentrum statt. Die Beamten ruhten sich in bequemen Sesseln aus, während sich Scharen von Masseuren um sie bemühten. Direkt nebenan, in Sichtweite des Gemeinde-Massagesalons, standen Sozialhilfeempfänger nach ihrem Wohngeld an und staunten, wie ihre Volksvertreter die Arbeitszeit verbrachten.
Schließlich dämmerte es dem Geschäftsführer der Bezirksverwaltung, Simon Warren, dass der Stressabbau seiner Angestellten erheblichen Wutstress bei den Sozialhilfeempfängern auslöste, und er brach die öffentliche Massage zum Bedauern der Massierten ab. Die hatten schon weitere Nationaltage ausgeheckt, wie den "Nationalen Tag für das Verstehen eingewachsener Fußnägel". Sie hofften wohl, an dem Tag zur öffentlichen Pediküre geschickt zu werden - am besten in eine Suppenküche, damit die Bedürftigen zusehen und ein Bewusstsein für Problemfußnägel entwickeln können.
Möglicherweise müsste man dann jedoch an anderer Stelle sparen, zum Beispiel an der Sozialhilfe, denn die Bezirksverwaltung ist so gut wie pleite - nicht zuletzt wegen der Schadensersatzbonanza, die in England grassiert. In Rotherham in South Yorkshire hat der Bezirksrat in den vergangenen fünf Jahren 57.000 Pfund Schadensersatzzahlungen an Schulkinder geleistet. Ein Mädchen, dass mit ihrem Dreirad ein paar Stufen hinuntergefallen war und sich wehgetan hatte, bekam 6.250 Pfund. Ein anderes Mädchen, dem ein Frisbee gegen den Kopf geflogen war, erhielt 879 Pfund. Auch für Handys, Schmuck und Jacken, die die Kinder in der Schule verloren hatten, musste die Bezirksverwaltung aufkommen. Das sind alles Kleinigkeiten im Vergleich zu dem Coup, den ein Grundschüler gelandet hat. Er war in der Mittagspause von einem Mitschüler angerempelt worden, wodurch sich die Vanillesauce, die er auf einem Tablett trug, über seine Hand ergoss. Für das Malheur wurden ihm 5.750 Pfund Schadensersatz zugesprochen. Ein Elfjähriger dagegen, der versehentlich in der Schule eingesperrt war und beim Versuch, über einen Stacheldrahtzaun zu klettern, einen Finger verlor, bekam nur 250 Pfund.
In Irland lernen die Bezirksverwaltungen schnell von der Nachbarinsel. Aus Furcht vor Klagen haben sie am Strand von Kilkee die Sprungbretter und Leitern abgebaut. In Dublin haben sie das Georges Dock mit Sand aufgefüllt, um die Wassertiefe auf 50 Zentimeter zu reduzieren, damit niemand ertrinken kann. Im Szeneviertel Temple Bar hat man die mit Kalkstein gefliesten Gehwege aufgeraut, damit niemand ausrutscht. Aus demselben Grund will man das jahrhundertealte Kopfsteinpflaster im Trinity College wegreißen. Am besten, man packt die gesamte Insel in Watte ein und schickt die Bezirksverordneten zur permanenten Kopfmassage.
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