Die Wahrheit: Dieser Lausejesus!
Was soll bloß aus dem Jungen werden?
Die Rute pfiff durch die Luft und klatschte auf Gottes kleinen Hintern. "Au!!", schrie Jesus und strampelte verzweifelt, um sich aus Josefs Griff zu winden.
"So, Bürschchen!", schnaubte Josef und ließ den Heiland frei. "Ich habe dir hundertmal gesagt, lass dich nicht mit diesem Schlingel von unseren persischen Nachbarn ein, diesem Feuerteufel Zarathustra! Jesus, wenn dich der böse Bube lockt, folge ihm nicht! Sonst …"
Jesus zog den Rotz hoch und murmelte: "Wenn der mich noch mal schlägt, dann …"
"Was dann?!", fuhr Josef dazwischen und packte …
"Was geht denn hier vor?" Maria trat ein, strich sich über die Schürze und überblickte sofort die Lage. "Josef, lass den Jungen los! Jesus, komm zu Mama."
"Maria! Du verziehst ihn!", schalt Josef. "Du darfst ihm nicht alles durchgehen lassen. Der Bengel hat sich wieder mit diesem Taugenichts Zarathustra herumgetrieben, und prompt ist eine Krippe in Flammen aufgegangen. Dem Herrn sei Dank, dass das Feuer nicht aufs ganze Dorf übergegriffen hat! Aber ein paar Ochsen und Esel sind in dem Stall verbrannt. Dreißig Silberlinge habe ich dem Bauern bezahlen müssen!"
"Er ist doch aber ein Kind und weiß nicht, was er tut", erwiderte Maria.
"Dann wird es Zeit!", schimpfte Josef. "Bei Gott, ich habe lange Nachsicht geübt. Aber irgendwann ist meine Geduld zu Ende. Ja, wenn er Reue zeigte! Stattdessen sagt dieser Naseweis, ich hätte kein Recht, über ihn zu urteilen, sondern nur sein himmlischer Vater! Der werde am Jüngsten Tag über mich zu Gericht sitzen und mich wie jeden, der gegen ihn, Jesus, gesündigt hat, zur Rechenschaft ziehen. Da platzte mir der Kragen, und ich verpasste ihm die Tracht Prügel, die er längst verdient hatte!" Damit hatte Josef den Erlöser derart überrascht, dass der völlig vergaß, ein Wunder zu wirken und Josef etwa blitzartig woandershin zu versetzen.
"Wer sein Kind lieb hat, züchtigt es!", fuhr Josef mit erhobenem Zeigefinger fort.
"Es ist nicht deins", parierte Maria, und Josef wurde erneut schmerzhaft bewusst, dass er runzliger, alter Sack damals dieses Kuckucksei adoptieren musste, um Maria, die geilste Nummer in ganz Nazareth, heiraten zu können.
"Mariele", schlug Josef einen neuen, sanften Ton an, "wir wollen uns nicht streiten. Aber ist dir wirklich egal, was aus Jesus wird? Wenn er so weitermacht, wird es mit ihm ein schlimmes Ende nehmen!"
"Red kein dummes Zeug!", versetzte Maria. Wie oft sie sich über Josef ärgern musste! Aber zugleich war sie dem Knispel ewig dankbar, dass der sie genommen hatte, immerhin hatte ihr und ihrem Liebhaber damals die Steinigung gedroht.
Jesus, den das Gespräch der beiden Erwachsenen langweilte, hatte sich bereits verdünnisiert. Man hörte von draußen helle Stimmen, wo Jesus offenbar Markus und Matthäus, zwei Rangen aus seiner Straßenbande, getroffen hatte.
"Hörst du, Maria?!", deutete Josef kopfnickend nach draußen, "da heckt dein Jesus mit diesen Spitzbuben wieder einen Streich aus, und wir dürfen dafür geradestehen. Wie letzte Woche, als er Kaiphas Jüngsten tot umfallen ließ, nur weil der ihn auf der Gasse angerempelt hatte. Gott im Himmel! Oder denk daran, wie er den kleinen Barrabas in einen vertrockneten Feigenbaum verwandelte, bloß weil der ihn beim Spielen am Bach ärgerte!"
"Das verwächst sich mit der Zeit", versuchte Maria zu beschwichtigen. "Du tust, als sei Jesus durch und durch verderbt", schüttelte Maria den Kopf. "Josef, wir haben auch viel Freude an unserem kleinen Erlöser. Denk nur daran, wie er die Puppen seiner Schwestern mit einem einzigen Wort ganz macht oder die Holzschwerter seiner Brüder!", rief Maria. "Oder wie er damals den Balken, der einem deiner Gesellen gerade aufs Gesicht gefallen war, in einen kleinen Splitter verwandelte!"
"An dem Splitter leidet er noch heute", knurrte Josef.
"Oder wie Jesus einmal einen Spielgefährten, ich glaube, es war dieser Lazarus, wieder lebendig machte!"
"Ja, nachdem Jesus ihn vom Dach geschubst hatte!"
Obschon Maria ihrem Mann stets widersprach, wenn es um ihren Ältesten ging, hegte auch sie innerlich Zweifel. Machte sie sich nicht falsche Hoffnungen? Es war ein offenes Geheimnis, dass alle Dorfbewohner das Heulen und Zähneklappern bekamen, wenn der Name Jesus fiel. Nur die Kinder verehrten ihn abgöttisch und rissen sich darum, mit dem Frechdachs und Flegel aus dem Hause David befreundet zu sein. Wie beneideten sie Jesu Busenfreund Judas!
Die beiden kannten sich seit der Krabbelgruppe. Gemeinsam strichen sie Pech auf den Rabbinerstuhl, hingen einen vollen Nachttopf über die Synagogentür, der beim Eintreten umkippte, spannten ein dünnes Seil über die Gasse, um die Gläubigen auf dem Weg zum Gebet zu Fall zu bringen. Ein Herz und eine Seele waren die beiden Lauser!
Musterknaben wie Moses, der sich als Sohn einer ausländischen Prinzessin für was Besseres hielt, fanden ihn natürlich doof, und besonders oft kabbelte er sich ausgerechnet mit seinem Vetter Johannes, den Sohn von Tante Elisabeth. Der wollte nämlich selber Prophet werden, kochte vor Eifersucht und rief Jesus nach jedem gelungenen Streich zur Buße und Umkehr auf. Einmal war sein Neid so weit gegangen, dass er Jesus beim Baden im Jordan duckte und der Messias beinahe ertrunken wäre.
Noch heftiger auf dem Kieker als Johannes hatte Jesus nur den kleinen Paulus. Der war unausstehlich mit seiner ewigen Besserwisserei, spielte sich bei jeder Gelegenheit auf und wollte selbst Jesus herumkommandieren, ein richtiges kleines Arschloch eben.
"Das wird schon", winkte Maria ab und wandte sich, um in die Küche zurückzukehren.
"Wers glaubt, wird selig", murrte Josef. "Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass aus dem was Rechtes wird", brummte er noch und traute seinen Augen nicht, als sein Blick aus dem Fenster auf die Kamelweide fiel: Dort schlüpfte gerade ein Höckertier nach dem anderen durch ein Nadelöhr, das ihnen ein kleiner Dompteur hinhielt, und der Dompteur war natürlich - Jesus!
"Komm sofort rein, Jesus!", rief Josef, "und lass die armen Tiere in Ruhe!"
Der künftige König der Juden gehorchte und ließ Markus, Matthäus und die anderen zehn allein bei den Kamelen zurück, die sich vergeblich mühten, auch nur eines durch das Nadelöhr zu bugsieren. Statt in die vor Sägespänen starrende Werkstatt zu seinem Stiefvater stob Jesus aber die Treppe hoch zu Marias Mutter, Anna. "Fein, dass du wieder da bist", sagte sie, "wars schön in Ägypten?"
"Aber Oma, ich war doch nicht in Ägypten! Ich war noch nie in Ägypten!"
"Ja, wo warst du denn dann so lange?"
"Ich war draußen spielen, Oma."
"Oma?!", scholl von unten die Stimme von Maria, "ist Jesus bei dir? Jesus?!"
"Ja, Mama?"
"Komm schnell runter und hilf Papa, er hat sich drei Finger abgesägt!"
Jesus grinste vor Schadenfreude. Heilen konnte er ihn später noch! Außerdem hörte er gerade den verabredeten Pfiff von Zarathustra, lief die Treppe hinab und stürmte an Maria vorbei auf die Gasse.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe