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Die WahrheitYoga für Busfahrer

Kolumne
von Barbara Häusler

Hätte mir das einer noch vor vielleicht sechs Monaten prophezeit, ich hätte gesagt: sterb ich halt. Aber dann kamen die ersten Schneeglöckchen (...)

H ätte mir das einer noch vor vielleicht sechs Monaten prophezeit, ich hätte gesagt: sterb ich halt. Aber dann kamen die ersten Schneeglöckchen, und ich hab’s mir anders überlegt. Und mache auf meine alten Tage plötzlich Yoga. Selbstverständlich nur, weil ich mir nicht mehr anders zu helfen weiß. Die Schultern! Der Nacken! Die Arme! Wer meine Schultern, meinen Nacken und meine Arme hätte, würde das auch so machen.

Ich praktiziere dieses Yoga in der physiotherapeutischen Praxis, in der ich vergangenen Sommer aus nämlichen Gründen (Schultern, Nacken, Arme) wieder bewegungsfähig gemacht wurde. Das gemischt-therapeutische Programm aus Dehnungsübungen und -anleitungen sowie einer Art Herumzupfen an mir half bestens. Wie das alles heißt oder was das genau war, was da gemacht wurde, ist mir egal. Das meine ich nicht verächtlich, sondern pragmatisch: Was hilft, hilft.

Meine Schultern, Nacken und Arme indes waren weniger dankbar als ich, sondern nahmen ihr schmerzendes Werk alsbald wieder auf. Und so kam ich auf den Prospekt zurück, den man mir – vermutlich wohlwissend – zum Abschied mitgegeben hatte: „Yoga für Anfänger“. Was hatte ich zu verlieren? Ich setzte darauf, in einer physiotherapeutischen Praxis möglichst gongfrei davonzukommen. Und die Rechnung ging auf: Tatsächlich gab es keinen Gong, keine Räucherstäbchen, kein Gebärmutteratmen. Dafür brutales Körperwerk, wenn auch mit Hilfsmitteln – Stühlen, Seilen, Kissen. Gut.

Nach meiner zweiten Sitzung las ich im SZ-Magazin herum und stieß auf das Interview mit einem 93-jährigen Yogi namens B.K.S. Iyengar. Ich lese für gewöhnlich eigentlich nie Interviews mit 93-jährigen Yogis, meinte mich allerdings dunkel zu erinnern, diesen Namen in meinem Yoga-Kurs einmal gehört zu haben. Also las ich die Einleitung und erkannte: Nach dessen Regeln turne ich ja! Er ist nämlich der einzige Yogi, der Hilfsmittel – Stühle, Seile, Kissen – erlaubt! Ich las also das Interview und begriff ein Weiteres: Bei dem bin ich genau richtig. Und das allein wegen eines einzigen Satzes in dem Interview.

Auf die Frage, ob es wirklich stimme, dass er an Erleuchtung nicht sonderlich interessiert sei, antwortete er nämlich – bitte, ein 93-jähriger Yogi, der eine ganze Yoga-Bewegung gründete und Hilfsmittel wie Stühle, Seile und Kissen erlaubt: „Ich falle gelegentlich in diesen Zustand, aber ich möchte nicht dauernd in ihm sein. Wenn du erleuchtet bist, kannst du keinen Bus nehmen. Wenn alles eins ist, woher willst du dann wissen, welcher Bus der richtige ist?“

Ist das nicht einfach großartig? Niemals habe ich etwas gehört oder gelesen, das gelassener und eleganter meine eigene eher plumpe, weil furorgesteuerte Haltung gegenüber diesem ganzen Erleuchtungsgedöns ausdrückt. Ich bleibe also gern gänzlich unerleuchtet, aber dafür verkehrstüchtig. Denn man stelle sich bloß mal vor, so ein Erleuchteter setzte sich ins Auto! Ist ja lebensgefährlich! Wenn alles eins ist, woher will man dann wissen, wer die Vorfahrt hat?

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