Die Wahrheit: Gold-und Datenströme
Spätestens seit anno Tuck wird wohlfeile Ratgeber-Literatur verspottet. Selbige zu geißeln, ist so recht wie billig. Ein paar hämische Anmerkungen.
S pätestens seit anno Tuck wird wohlfeile Ratgeber-Literatur verspottet; selbige zu geißeln, ist so recht wie billig. Insofern gestatte ich mir hämische Anmerkungen zu diesem Marktsegment lediglich dann, wenn sie eine erfrischende Nuance hinzufügen. Das tut die folgende Begebenheit und berührt zugleich das großflächige Spektrum einer meiner Lieblingswissenschaften, der Irrtumsforschung.
Die winzige Anekdote vernahm ich jüngst in Nordhausen. Nein, nicht etwa wegen des feinen Doppelkorns war das beschauliche Städtchen im Südharz mein Ziel gewesen. Andere Gründe entschieden den Besuch. Dazu hernach mehr.
Ein gewisser Carl Friedrich Wehmer, der seit etwa 1840 in Nordhausen eine Materialwarenhandlung führt, veröffentlicht 1860 ein „Goldbuch für Geschäftsleute“, in dem er über 600 Grundregeln offenbart, dank derer man zuverlässig reich wird. Bald erfährt Wehmer, dass es vergriffen ist. Er reagiert enthusiastisch, wie alle Erfolgsverwöhnten: Er lässt eine zweite Auflage drucken. Aber was steckt hinter dem Bestseller? Weil es niemand erwirbt, hat Wehmers Frau insgeheim sämtliche Exemplare aufgekauft und verbrannt.
Was mich nun mit Nordhausen innig verbindet, dreht sich um das neue historische Museum, dessen Ausstellungstexte ich redaktionell betreue. Die zu überarbeitenden Versionen tauschen die Regisseurinnen der Ausstellung und ich der Eile wegen per Elektropost aus. Neulich rief die Kollegin morgens an, sie habe mir grad eine Fuhre dringlicher Texte geschickt. Doch die E-Mails blieben aus, gleichwohl mein Programm von anderen Absendern empfing. Vier oder vierzehn weitere Versuche scheiterten. Ein Rätsel, das uns veranlasste, mögliche Fehlerquellen auszuschließen. Nach wie vor null und nichts. Schließlich radelte ich abends, ausgerüstet mit einem USB-Stick, in das entlegene Büro der Kollegin. Tags darauf trafen plötzlich sämtliche E-Mails bei mir ein.
Die Texte befassten sich mit dem Zeitraum von 1933 bis 1945. Darin kommen – Überraschung! – Begriffe wie Nationalsozialismus, KZ, V2 und Bomben vor. Mit dem mysteriösen Schweigen verknüpften wir kürzlich einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung, der zwar Bekanntes brachte, aber erst den Vorfall wachrief. Es hieß, der Bundesnachrichtendienst BND durfte „mehr als 37 Millionen E-Mails nach Schlagworten durchforsten, ohne dass Sender oder Empfänger davon wussten“. Mehr als 15.000 Stichwörter sind definiert, wie „Bombe“ oder Fachbegriffe aus der Militärtechnik. Nach ihnen scannt man die Datenströme.
Irgendein Haken mag im BND-Rechner geschrägt gewesen sein, so dass er sein Ansinnen verriet, vermutete der Verfolgungswahnhafte oder der Verschwörungstheoretiker in mir. Gegen die beiden setzte sich schließlich der geschulte Menschenverstand durch, der sich oft bestätigt sieht: das Treiben auf diesem Planeten verlaufe tatsächlich teils so, wie es sich Klein Fritzchen vorstellt. Sei bedankt, BND, uns aus deinen Fängen entlassen zu haben. Wär aber nicht nötig gewesen.
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