Die Wahrheit: „Wir Märchenerzähler!“
Es ist in der Tat eine Schicksalswahl: Am Sonntag wählen die Griechen. Der Frankfurter Gastwirt Apollo erklärt im Wahrheit-Interview sein Spitzenvolk.
Was von den Griechen zu halten ist, weiß in diesen wirren Zeiten niemand mehr so recht, es sei denn, er heißt Nikos Dimou, ist griechischer Philosoph und für den jüngst auf Deutsch erschienenen Aphorismenband „Über das Unglück, ein Grieche zu sein“ (Verlag Antje Kunstmann, München 2012) verantwortlich. Wir haben die Kernthesen des Buches unserem griechischen Lieblingswirt unter die Nase gerieben, dem Spitzentresendenker Apollo, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebt und behauptet: „Mein Gehirn ist in Griechenland.“ Wir schalten um in die Gastwirtschaft Kyklamino, Frankfurt am Main, Stadtteil Gallus …
taz: Apollo, komm, trink ’nen Schnaps!
Apollo: Nein, ich will keinen Schnaps jetzt! Bist du blöd oder was? Ich hab schon einen getrunken.
Kennst du den Kasper hier, Nikos Dimou? Ist ein berühmter griechischer Philosoph ?
Ja, ich kenn ihn nicht.
Geboren in Athen, Autor von über sechzig Büchern. Sag doch mal: Was ist denn der Grieche an und für sich für einer?
Was ist der Grieche an und für sich?
Na gut. Einer der ersten Sätze bei Dimou lautet: „Ein Grieche tut alles, was er kann, um die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit zu vergrößern.“
Ja, das ist richtig.
Das heißt, ihr lebt gar nicht hier in dieser Welt?
Du meinst die Zeit? Ja, die Fantasie?
Und wo lebt ihr dann?
In der Kluft.
Okay. Der nächste Satz: „Das erreicht er, indem er entweder seine Forderungen ins Unerfüllbare steigert oder indem er, so gut er kann, seine Umwelt ruiniert.“
Ja, das ist ja klar. Erste mal vom Menschlichen gesehen: Das sind die Leute, die achten überhaupt nix. Also, er schmeißt hier morgen die Müll da mitten in die Busch. Der sagt: Leck mich am Arsch, jemand muss das saubermachen. In Athen der ganze Fluss ist voll mit solche Dinger. Die meisten Dörfer, die haben keine Kanalisation, die haben nichts. Später landet das irgendwo im Fluss.
Und was ist mit euren Wünschen, die ihr immer ins Unermessliche steigert?
Hast du keine Wünsche? Das ist immer ein Wunsch von einem Grieche: nicht zu arbeiten und viel Geld zu haben. Das ist wahr. Egal, was ich tue, ich muss viel Geld haben für alles, um die Wünsche mir zu erfüllen. Aber bis jetzt hat der Grieche nicht alles geschafft. So meint er, auf diese Art. Weiter!
„Ewige Neigung zur Übertreibung.“ Ihr übertreibt alles, dauernd?
Ja, ja. Ja. Wir übertreiben, wir übertreiben. Aber hier ist auch das gleiche.
Gib mal ein Beispiel!
Hier, reden wir von diese Zeit! Der Grieche übertreibt in eine System. Wie kann man so formulieren? Wenn jemand was sucht, warum? Weil, wenn er was erzählt, er übertreibt. Also, er ist praktisch ein Märchenerzähler.
Jeder, der was erzählt, übertreibt auch?
Ja, übertreibt, bissi, bissi. Das ist nicht die richtige Wahrheit. Er übertreibt immer. Er sagt, er hat kleine Auto, er sagt: Ich hab also ein große. Ich hab kleine Haus, ah, ich hab drei Häuser. Er übertreibt bissi, die Leute zu imponieren, dass er sagt: O, du bist gut!
Die einzige Kunst, über die der Grieche verfügt, ist laut Dimou die „Kunst der Schauspielerei“. Alles ist ständig Theater, Zirkus.
Ist gelogen. Nicht alles, aber 70 Prozent! Schauspieler sind das!
Das ist aber bei uns Deutschen nicht so. Bei uns sind nur 37 Prozent gelogen.
Dann bei uns sind wir mehr. Wo ist das alles rausgekommen – Mythologie? Was ist Mythologie?
Erzähl’s mir! Was ist Mythologie? Schauspielerei?
Schauspielerei. Das wollt ich dir sagen.
Gehirnschauspielerei.
Gehirn und Fantasie. Jetzt kommt, was der Dimou hat vorher gesagt: Mit Fantasie machst du ein Märchen. Ohne Fantasie kommt diese Märchen nicht. Und Mythologie ist das Märchen!
Dimou zufolge ersetzt ihr die Wirklichkeit durch die Märchen aus euren Gehirnen.
Ja! Ja! Man hofft, man hofft! Aber ohne Fantasie bist du auch kein Mensch, oder? So will er das vielleicht erklären. Die leben mit Fantasie, die meiste. Die hoffen, und die fantasieren gern. Schließe deine Augen, siehst du die Natur, und auf einmal kommt diese Idee.
Ein Grieche „verspricht das Dreifache von dem, was er halten kann“.
Das ist wahr. Das ist wahr hundertzwanzig Prozent!
„Er weiß viermal so viel wie das, was er tatsächlich gelernt hat. Er zeigt seine Gefühle fünfmal stärker, als er sie wirklich empfindet.“
Das auch. Is Schauspielerei.
Du unterschreibst das alles?
Ja. Ich sag, das is so.
Das Buch ist in Griechenland nicht verbrannt worden?
Noch nicht. Aber bald.
So, und aus all diesen Eigenschaften schließt Dimou im Aphorismus Nummer vierzig, dass der Grieche der optimale Nörgler ist. Der meckert über alles. Das sagt man ja stets den Deutschen nach.
Nein, nein, nein. Die Griechen auch. Er ist unzufrieden. Von Politik ist er unzufrieden. Er fängt an zu meckern. Von Preise ist das so. Das ist immer wahr! Von Arbeit, weil das ist nicht so eine systematische Arbeit. Das gehst du hin, und du arbeitest in eine Firma, und dann sagt der: Morgen, weißt du, arbeitest du noch eine Stunde mehr, eine Stunde mehr. Und am Ende bist du unzufrieden, wenn du nicht das Geld kriegst. Verstehst du? Der meckert, natürlich meckert! Weil vorher du hattest Teilzeit. Und dann sagt der (Dimou), ist das immer Fantasie! Natürlich Fantasie, dein Haus zu haben, dein Frau, zwei Kinder, eine Auto, verstehst du, und einmal siehst du die Wirklichkeit – ist das nicht zu schaffen. Und dann er meckert, weil er kriegt das nicht gelohnt, was er arbeitet oder verlangt.
Dagegen kann man nichts machen?
Nein! Niemand is schuld.
Doch! Die andern! Behauptet Dimou.
Immer die anderen sind schuld? Okay. Is menschlich geseh’n.
(Stammgast Fipps schaltet sich ein.) Du bist schuld, dass ich dauernd Bier trink.
Ja. Normal.
Apollo, wird das denn jetzt noch was mit den Griechen in der EU?
Im 6. Mai wird gewählt. Also, die Parteien sollen wieder alle zusammen sein. Die möchte natürlich nich. Nur Scheiße. Nur Scheiße. Also, von EU wird nich raus. Die lassen die nicht hier raus die Europäische Union. Europäische Länder – was is? Deutschland, Frankreich. Der Rest der Welt is nix. Unsere Merkel hier hat auch gelogen! So. Ich bin gespannt, was wird. Aber wenn so weitergeht, die Griechen werden in Hungersnot leiden. Dann wird Dritte Welt.
Apollo, wir danken Dir für das Gespräch.
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