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Die WahrheitIch rieche, was du liest

Kolumne
von Bernd Gieseking

Ich fahre immer wieder mit dem Auto durchs Land. Das ist gefährlich, weil man ständig bedroht wird. Jetzt erwischte es mich in Berlin-Wilmersdorf.

I ch fahre immer wieder mit dem Auto durchs Land. Das ist gefährlich, weil man ständig durch Rehe (von beiden Seiten), Autofahrer mit Hut (immer von links und ohne Vorfahrt) sowie „Meldungen“ und „Beiträge“ (von vorn aus dem Radio) bedroht wird. Jetzt erwischte es mich in Berlin-Wilmersdorf.

Inforadio RBB. Ein Beitrag zum Thema „Der Duft der Bücher“ über den Berliner Parfümeur Geza Schön, der schon Berliner Stadtteile in Düfte übersetzt hatte. Neukölln roch ihm nach Cumin und Waschmittel, Mitte nach Leder und Algen, also Sushi. Klar. Das herauszuriechen ist gerade in Mitte keine Kunst. Nun kommt seine neueste Kreation in die Läden, der Duft der Bücher, und der trägt den Titel „Paper Passion“.

Es gibt nichts, was es nicht gibt. Vor drei Jahren konnte man „Flame by BK“ kaufen, herausgebracht von Burger King, Whopper-Duft, die Essenz von gegrilltem Fleisch. Da war ich schon irritiert. Aber jetzt? Der Duft von Büchern? Schnell parke ich den Wagen, um nicht verzweifelt mit dem Kopf aufs Lenkrad zu krachen. Fenster runter. Luft.

Paralysiert lausche ich dem Beitrag. „Paper Passion“ ist inspiriert und in Auftrag gegeben von dem Göttinger Verleger Gerhard Steidl, für den es keinen schöneren Duft gibt als den frisch gedruckter Bücher. Der Grass-Verleger ist der Franz Beckenbauer des Buchdrucks und wirkt wie auf Droge. Wo Jugendliche Klebstoff schnüffeln, zieht er sich frischgedruckte Bücher rein. Immer wieder. Jedem, der nicht schnell genug die Papiertaschentücher zückt, drückt er frisch gedruckte Bücherseiten auf die Nase. Und wehe, man schnäuzt dann rein!

Man soll „Bücher“ atmen. Riechen. Inhalieren. Bevor ich von Steidls Obsessionen hörte, dachte ich, Bücher sollten gelesen werden. Jetzt werden sie gerochen. Und Steidl ist der Dealer. Er lässt Bücher auf Flaschen ziehen. Er ist ein Anfixer. Kein Drücker, ein Drucker. Der Pate. Nicht mehr „Küss meinen Ring!“, sondern „Riech mein Buch!“

Der Flakon ersetzt das Bücherregal. So weit reichte nicht mal Süskinds „Parfüm“-Fantasie. Meine schlägt Wellen. Der Buchhandel jubelt. „Paper Passion“ wird das E-Book endlich nach vorne bringen. Wir sprühen es ein, wie man sich sonst Duftbäume an den Autorückspiegel hängt. Kulturbanausen atmen auf: „Ich lese zwar nichts, aber rieche nach Buch!“

Verlage verlangen vom Parfümeur olfaktorische Spezifikationen. Ein „Eau de Karl May“ ist noch dieses Jahr zu erwarten. Schüler werden „Shakespeare pour élève“ auflegen, um Lehrer zu beeindrucken. Studenten tragen „Das Kapital“ von Joop auf, das früher „Freigeist“ hieß. Und wer sich die Bücher von Heinrich Böll ersparen will, nimmt „4711 – Echt Kölnisch Wasser“. Ich rieche dich, und ich weiß, was du gestern gelesen hast.

Ich starte den Wagen und fahre los. Wilmersdorf riecht übrigens nach Frühling und geflextem Eisen. Ich schließe das Fenster, gebe Gas und übersehe die Blitzanlage auf dem Hohenzollerndamm. Die Polizisten riechen nach Bußgeldkatalog und Quittungsblock. Für den Preis hätte ich sicher ein Fläschchen „Paper Passion“ kaufen können.

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