Die Wahrheit: Raps statt Pyramiden
Flughafen Berlin: Niemand hat die Absicht, einen Tower zu errichten.
Der Flughafen alter Prägung ist tot. Jedes Kind weiß das längst. Auch die Vordenker der Staats- und Senatskanzleien in Potsdam und Berlin wissen das. Und haben daher heimlich, still und leise den neuen Großflughafen umdefiniert, souverän am Souverän vorbeigeplant. Und so kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, wenn man dem innovativsten Projekt seit der Berliner Olympiabewerbung in Schönefeld einen Besuch abstattet. Gold leuchten die Rapsfelder, wohin das Auge blickt. Aber wo sind die ganzen Startbahnen?
„Startbahn war gestern“, sagt Oberst Manfred von Holstein und zurrt den Helm fester. Der ehemalige Schlagoberst der österreichischen Marine hat ein Händchen für diffizile Managemententscheidungen und gilt als treibende Kraft für eine Neuausrichtung von Schönefeld. Der rüstige Rentner befehligt den Deutschen Freiballon-Sportverband und findet hier neue Wege, um in die Luft zu gehen. „Gewaltfrei starten, nachhaltig landen, das ist unser Weg in die Zukunft.
So ein Ballon braucht keine Startbahn, ein winziges Fleckchen Erde genügt. Immer wenn wir genug Raps geerntet und daraus Sprit gewonnen haben, kann eine unserer Energiekugeln abheben.“ Im Moment geschieht das etwa alle acht Wochen. „Aber wenn wir erst einmal ganz Brandenburg mit Raps bepflanzt haben, können wir zweimal täglich starten.“ 2018 soll es so weit sein. Ballonflug, eine runde Sache.
Auch die Urlauber will man dort abholen, wo sie stehen, am Rande des Rapsfeldes. Von Holstein redet sich in Fahrt, wenn er auf das neue Tourismuskonzept zu sprechen kommt: „Wer will schon in Taschkent Urlaub machen, wenn er in einem der 27 Besucherinformationszentren in Brandenburg alles über Raps erfahren kann?“ Kammerkonzerte plus Kinderbetreuung im Rapsfeld runden das abwechslungsreiche Angebot ab.
„Schönefeld ist ein Motor für Arbeitsplätze. 30.000 Erntehelfer für die Rapsernte, 300 Agrarökonomen, die sich um das Saatgut kümmern, 30 Anwälte, die uns wegen Rapsallergien verklagen werden, und drei Journalisten, die darüber ein Fernsehfeature machen.“
Indoor-Angrillen bei der EM
Wenn von Holstein sich etwas in den Kopf gesetzt hat, bleibt Nachhaltigkeit keine leere Formel. Und das schmucke neue Abfertigungsgebäude, das mit einem Bauvolumen von 2,7 Milliarden Euro währungsbereinigt achtmal billiger war als die Pyramiden von Gizeh? „Ist bis Mitte 2013 schon vermietet.“ Von Holstein reibt sich die Hände. „Unser Brandschutzsystem testen wir am 9. Juni: Indoor-Angrillen pünktlich zum Spiel Deutschland – Portugal. Danach geht es hier rund um die Uhr zur Sache.“
Flughafenbetreiber aus aller Welt werden Schönefeld als Labor für ihre Simulationen nutzen. Ob neues Leitsystem, ob Terrorangriff, ob Schneesturm: Im Terminal Schönefeld lässt sich jede Situation lebensnah darstellen. „Am 10. Juni kommen die Russen“, sagt von Holstein. „Und zwei Wochen später die Chinesen.“ Damit die endlich mal von den Berlinern und Brandenburgern lernen, was Standortpolitik mit Weitblick ist.
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