Die Wahrheit: Beendet all den Unsinn!
Eines Tages war es wieder Nacht. Ich war zu faul zum Schlafen und blieb lange auf. Die Zeit verwich wie mit grober Feile abgetragen. Melancholisch sann ich dem Duft nach.
E ines Tages war es wieder Nacht. Ich war zu faul zum Schlafen und blieb lange auf. Die Zeit verwich wie mit grober Feile abgetragen. Melancholisch sann ich dem Duft der desertierenden Sekunden nach. Ich sagte mir: „Das ist jetzt nun einmal so und kommt nie wieder.“
Der Teppich schwankte schwer verständlich. Ich hätte gern etwas gearbeitet, hatte aber keine Lust. Zudem wusste ich überhaupt nicht, was Arbeit überhaupt war. Mit der Zeit prallte ich gegen den Umstand, dass da ein Malmen war, das die Luft erfüllte. Es schien nicht vom Himmel zu kommen, sondern vom Keller auszugehen.
Was für ein Unsinn wurde da getrieben zu dieser Stunde? Das Malmen schwoll schroff an. So konnte ich nicht den Geruch der einzelnen Sekunden unterscheiden. Entschlossen, dem Treiben auf den Grund zu gehen und ihm ein Ende zu setzen, erhob ich mich und ging unter das Haus.
Dort angekommen, gewahrte ich Fremde im Kellergewölbe. Es bestand kein Zweifel daran, dass sie es waren, welche das verruchte Malmen hervorriefen. Folglich richtete ich das Wort an die Fremden im Keller: „Ich komme, um den Unsinn zu beenden.“
Großer Unsinn der Welt
„Jawoll, Parteitag!“, erwiderten jene. Da nahm ich überrascht zur Kenntnis, dass ich in eine Versammlung der Partei zur Beendigung des Unsinns geraten war. Jäh begriff ich: Hier war ich richtig. Wenn ich den Unsinn, sowohl den sich hier ereignenden als auch den allgemeinen, großen Unsinn der Welt, wirklich beenden wollte, musste ich Mitglied dieser Partei werden. Im Zuge der Umgestaltung der Parteienlandschaft war sie auf den Plan getreten und konnte sich eine satte Mehrheit im Parlament ausrechnen. Ich beantragte ein Eilaufnahmeverfahren, das nach der dritten Flasche zu meinen Gunsten ausging, trat ein und wurde vereidigt.
Für den nächsten Vormittag waren die ersten Aktionen anberaumt. Der Ortsgruppenleiter und Kanzlerkandidat der Partei wies die Subalternen an, die unter dem Haus selbstgebastelte und -bemalte Fahne zu entrollen. Nach Absingen der Parteihymne „Und wenn die Welt voll Unsinn wär“ zogen wir froh gestimmt los, um unser Programm praktisch umzusetzen und all den Unsinn zu beenden.
„Achtung, Achtung! Sofort mit dem Unsinn aufhören!“, riefen wir agitierend in Fußgängerzonen und Einkaufsgalerien. Die Menschen, denen wir begegneten, waren mehrheitlich auf unserer Seite, fuhren jedoch gleichwohl fort, alle möglichen Arten von Unsinn zu praktizieren. „Nun gut“, sagten wir uns, „das ist erst der Anfang, es liegt noch ein weiter Weg vor uns.“
Selbstverständlich gab es schon bald innerparteiliche Spannungen. Die einen wollten durch Sitzen zur Wahrheit gelangen, die anderen durch Liegen. Der Vorschlag, zum Zwecke der Parteifinanzierung ein Patent auf das Wort „Unsinn“ zu erwerben, um dann von allen, die es benutzten, Lizenzgebühren zu verlangen, wurde vom Realistenflügel abgelehnt. Ich regte schließlich die Umbenennung in „Partei für Internationale Wichtigtuerei“ an, was umgehend zu einem Ausschlussverfahren gegen mich führte.
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