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Die WahrheitDie wilden Tiere von Costa Rica

Eine Safari wollte ich machen, das wollte ich schon, seit ich ein kleines Mädchen war.

E ine Safari wollte ich machen, das wollte ich schon, seit ich ein kleines Mädchen war. Aber damals konnten meine Eltern sich so etwas nicht leisten, und später konnte ich selbst es mir nicht leisten. Aber jetzt, da ich endlich reich geworden war, konnte mich nichts mehr davon abhalten, meinen Traum wahr werden zu lassen.

Ich buchte einen Flug nach Costa Rica und dort gleich eine Tour durch den Dschungel des Tortuguero-Nationalparks. Der Reiseleiter unserer kleinen Gruppe, den ich fortan „Captain“ nennen werde, versprach uns, dass wir wilde Tiere sehen würden – und vor lauter Aufregung bekam er Schnappatmung und wäre beinahe umgefallen.

Dann marschierten wir los, die Gesichter mit Tarnfarbe geschminkt und bewaffnet mit Handykameras – hinein ins Dickicht und ins Abenteuer. Nach nicht einmal einer Stunde, in der wir gebückt und fast lautlos durch das Unterholz gepirscht waren, bedeutete uns der Captain mit einer knappen Geste, innezuhalten. Wir verharrten regungslos. Der Captain blickte misstrauisch im Urwald umher, und als er das Gelände offensichtlich für sicher befunden hatte, zeigte er auf einen Baumstamm. Atemlos lauschten wir seiner Erläuterung: „An einem solchen Baumstamm wetzen sich zuweilen Leoparden die Krallen.“

Es herrschte für einen Augenblick feierliche Stille, dann entfuhren uns bewundernde „Aaaaas!“ und „Ohhhhs!“. Wir zückten unsere Kameras. Klick, blitzel, knips – dieses Monument unbezwingbarer Wildnis musste selbstverständlich ins Bild gezwungen werden.

Als sich die Hysterie langsam wieder legte, ging es weiter. Nach einer Viertelstunde entfuhr einer Teilnehmerin unserer Safari ein spitzer Schrei. Aufgeregt folgten wir ihrem Blick in die Höhe, wo sie in den glänzenden Matten der Baumwipfel eine Bewegung gesehen haben wollte.

„Vielleicht ein Vogel?“, tuschelten die einen erregt, während die anderen aufgewühlt vermuteten: „Oder gar eine Fledermaus?“ Ich spürte einen Adrenalinkick wie nie zuvor in meinem Leben. Das war wirklich reine Action! Der Reiz der Gefahr – nie war er verführerischer gewesen, nie betörender.

In all dem Wirbel hatten wir nicht bemerkt, dass der Captain, wie zur Salzsäule erstarrt, auf ein Geflecht von grünen Blättern starrte. Schnell umringten wir ihn, um zu sehen, was er sah – und mir stockte der Atem! Noch ehe ich wirklich begreifen konnte, was für ein Anblick sich mir da bot, wisperte der Captain: „Ein Weberknecht.“ Und tatsächlich! Da saß ein echter Weberknecht mit Knopfkörper und acht haarfeinen Spinnenbeinen – und ich schwöre bei Gott, er sah mir genau in die Augen! Es war, als würde er mir tief in die Seele blicken. Es war ein überwältigender Moment. Ich war so bewegt, dass ein Foto zu schießen mir als eine Entweihung des Augenblicks vorgekommen wäre.

Darum fehlt dieses prachtvolle und stolze Tier jetzt in meinem Fotoalbum. Aber vielleicht fotografiere ich einfach den Weberknecht in meiner Schlafzimmerecke und klebe ihn ein. Den Unterschied merkt kein Mensch.

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Corinna Stegemann
Wahrheit-Autorin
Jahrgang 1966, studierte Germanistik, Geschichte und Politik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Neben dem Studium jobbte sie in verschiedenen Bereichen am Wolfgang Borchert Theater und war Mitarbeiterin des legendären Fanzines Luke & Trooke. Von 2000 bis 2013 war sie Wahrheit-Redakteurin. Dort schrieb sie 95,73% der Kurzgeschichten im Wetterkasten.

2 Kommentare

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  • A
    Andre

    hmmm....was will uns dieser Beitrag sagen...

     

    Ich für meinen Teil war 2012 in Costa Rica (alleine mit nem Freund und ohne Gruppenreise) und mein Fazit: Einer meiner schönsten Urlaube bisher.

     

    Ich weiss ja nicht wo Corinna's "Captain" die Gruppe in Tortuguero hingeführt hat, aber eigentlich kann man da kaum rumfahren (eigentlich muss man ja sowieso mit einem Boot stundenlang reinfahren) ohne Tiere zu sehen: Affen sowieso (zumeist Weissschulterkapuziner oder Klammeraffen), Vögel ohne Ende, oftmals Aligatoren, und natürlich Insekten. Manche Tiere sieht man eher Nachts oder bei Sonnenaufgang. Aber vielleicht hatten Sie auch einfach Pech.

     

    @jan: Es gibt noch viele Ecken dort, wo es nicht Massen von Touristen hat. Zumeist ist es dort sehr voll, wo man mit Guides oder per Auto einfach hinkommt (z.B. am Vulkan Poas bei San José), ansonsten kann man teilweise stundenlang wandern ohne eine Menschenseele zu sehen.

     

    Amerikamer gibt es dort übrigens immer noch sehr viele. Und Nicaragua ist keine wirkliche Alternative, denn dort ist die Kriminalität deutlich höher und das Durchschnittseinkommen ca. 10 mal tiefer (!).

     

    Man sollte diesbezüglich wissen, dass Costa Rica keine eigene Armee besitzt (!) und in keinen der üblichen Mittelamerika Kriege involviert war. U.a. deswegen ist das Land überdurchschnittlich reich.

  • J
    jan

    "It was Paradise" sagte mir 1985 ein Amerikaner in San Jose ueber die 1970ziger Dekade in Costa Rica. 1985 war die Natur was schon ueberwaeltigt. Die Deutschen entdeckten Costa Rica erst nach 1990. Heute sieht man noch schoene Natur, aber es ist wie Mallorca ohne stadtbauliche Infrakstruktur, nur hektischer. Trotzdem - jemand war vor einigen Monaten auf einer Tour - und war begeistert - er hatte wirklich eine ganze Anzahl von Tieren gesehen. Soll ich dir mal erzaehlen wie Costa Rica war - so um 1964 - mit Hotels aus Holz...? Was einmalig ist in Costa Rica - die Abteilung fuer Baby and Kleinkinderbekleidung in den Kaufhaeusern ist riesig- und das erklaert die Ticos/Ticas und ihre Lebensweise "pura vida"! (Die Amis reisen heute nach Nicaragua - weil das noch nicht ueberlaufen ist!)