Die Wahrheit: Schwachpunkt Ironie
„Ich schlage die folgende Zeichensequenz zur Kennzeichnung von Witzen vor: :-). Lest es seitwärts.“ Satzzeichen im Schatten des Vergessens.
Ohne „Punkt, Punkt, Komma, Strich“ kam kaum ein Kommentar zum 30. Geburtstags des Grinse-Emoticons ;-) aus. Vor 30 Jahren hatte Professor Scott Fahlmann seinen folgenschweren Vorschlag an seine Mitdebattanten ins Netz gestellt: „Ich schlage die folgende Zeichensequenz zur Kennzeichnung von Witzen vor: :-). Lest es seitwärts.“ Und alle legten den Kopf schief.
Rasch war eine wissenschaftliche Bezeichnung für das Grinsegesicht gefunden, es wurde Emoticon getauft, zusammengesetzt aus den englischen Begriffen emotion (Gefühl) und icon (Symbol). Die Internetgemeinde griff das schlichte Zeichen dankbar auf, und Professor Fahlmann blickte wie der Zauberlehrling auf seinen verhängnisvollen Zauberspruch zurück: „Ich hatte doch keine Ahnung, dass ich etwas auslöse, das bald alle Kommunikationskanäle der Welt verschmutzen würde.“ (Die Zeit)
Diese Einschätzung spricht für ihn und auch die Bemerkung, dass er die grafischen Smileys hässlich findet. Kritiker sehen im grinsenden Emoticon ein „Äquivalent zum Karnevalstusch“ und ätzen, dass so jede feine Art von Humor zertrampelt wird. So kann man das durchaus sehen, Prof. Fahlmann sollte man hingegen Humor nicht absprechen, wenn er formuliert: „Es ist wahrscheinlich ökonomischer, Dinge zu markieren, die keine Späße sind. Benutzt dafür :-(.“
Die begeisterte Zeitungswelt von Bild bis Welt und Zeit feierte den Professor als genialen Erfinder des emotionalen Satzzeichens, allerdings lagen alle damit um satte 400 Jahre daneben (*grins*). Denn schon etwa 1580 erfand der englische Drucker Henry Denham den „percontation point“, den springenden Punkt der Ironie. Der Punkt war in Wirklichkeit ein seitenverkehrtes Fragezeichen, das er vermutlich durch einfaches Umdrehen des Druckbuchstabens im Setzkasten erzielte. Mit dem neuen neuen Zeichen sollten rhetorische Fragen gekennzeichnet werden.
Das Fragezeichen (Punctus interrogativus) wurde damals als Blitz beschrieben, der von rechts nach links zuckt, dementsprechend zuckt das rhetorische Fragezeichen in die entgegengesetzte Richtung. Weniger dramatisch beschrieben ist es ein großes spiegelverkehrtes S, das gerade einen Punkt gelegt hat. Das zuckende Zeichen starb dann wohl im 17. Jahrhundert aus und wurde zunächst vergessen.
Erst 1668 sollte der umtriebige John Wilkins an die Idee von Denham anknüpfen. Nachdem sein Manuskript teilweise im großen Brand von London 1666 zerstört worden war, schlug er in einem bahnbrechenden Essay das auf den Kopf gestellte Ausrufungszeichen als ironisches Zeichen vor (¡). ¡ wie Ironie eben. Sein Essay war leider ein grandioser Fehlschlag und wurde rasch vergessen, und seinem Ironiezeichen erging es nicht besser. Erst 1852 beklagt Rousseau das Fehlen eines Ironiezeichens in der Interpunktion. Dabei gab es das ironischerweise schon längst wieder.
Am 11. Oktober 1841 hatte Marcellin Jobard im Courrier Belge einen neuen „Point d’ironie“ vorgestellt. Dieser sah aus wie ein Pfeil, der auf einem Punkt balanciert und markierte Satzanfang und Ende. Jobard war Lithograf und Fotograf und forschte an einer frühen Form der Glühbirne. Er erfand in rascher Folge den Liebespunkt, den Überzeugungspunkt, den Autoritätspunkt, den doppelten Ausrufungspunkt und den Punkt des Zweifels. Dazu kamen noch der Sympathiepunkt und der fiese Antipathiepunkt.
Doch ach! Wieder war vorerst alles umsonst! Den frühen Ruhm des Ironiepunkt-Erfinders sollte der französische Dichter Alcanter de Brahms einheimsen. Sein Name war das Anagramm von Marcel Bernhard, und sein Zeichen sah „zufällig“ aus, wie das Bekannte von Denham: Ein umgekehrtes Fragezeichen. Es wurde mal wieder „Point d’ironie“ genannt, und es gelang dem dichterischen Plagiator, das Zeichen im „Nouveau Larousse Illustre“ unterzubringen, der maßgeblichen Enzyklopädie der Franzosen.
Dort sollte das sonderbare Zeichen bis 1960 überleben, ohne groß aufzufallen. Kaum verschwunden, sollte es allerdings wieder aufleben, als der französische Dichter Hervé Bazin neue Punkte der Ironie auf den Ironiepunktmarkt warf: Vom unvermeidlichen Liebespunkt über den Überzeugungspunkt bis zum bekannten Rest. Selbstverständlich hatte er als Höhepunkt den unverzichtbaren Ironiepunkt im Angebot, der wieder einmal wie ein Pfeil aussah.
Kurz einmal lebte das alte Ironie-Zeichen noch auf einem Lemuren-Sammelbild auf (Nr. 378), dann fiel der Schatten des Vergessens auf die Ironiezeichen.
Und was danach kam? Das könnt ihr vergessen und zwar möglichst schnell!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos