Die Wahrheit: Endkampf am Ende
Neues vom Mayakalender: Weltuntergang im Heiligen Land vermasselt.
Freunde der Endzeit, die laut Mayakalender gerade stattfindet, müssen in diesen Tagen sehr stark sein. Denn die prophezeite Apokalypse, über deren Vorzeichen die Wahrheit in den letzten Wochen akribisch berichtete, gerät immer wieder ins Stocken. Was bisher geschah: Nachdem das Jahr 2012 katastrophentechnisch nur langsam in Fahrt kam, konnten die Freunde der apokalyptischen Pferde in den vergangenen Monaten endlich Licht respektive Feuer am Horizont erkennen. Die Erdbeben häuften sich, Wirbelstürme lösten Fluten aus, und sogar deutsche Sektenmitglieder im Exil ließen sich aus lauter Vorfreude auf den Weltuntergang erschießen.
Auch das Wetter spielt seit Beginn der kalten Jahreszeit zuverlässig mit, ein souveränes Grau in Grau tagsüber wird nur unterbrochen von eiskalten dunklen Nächten mit Überlänge und ekligen Matschregenschauern. Glättebedingte Auffahrunfälle im Nebel sind ebenso an der Tagesordnung wie schlechte Laune und volle Arztpraxen, wo Rentner absichtlich kleine Kinder anstecken, um den demografischen Wandel weiter zu verschärfen.
Und dann erschien vor wenigen Wochen das sicherste Zeichen für die beginnende Apokalypse. Ausgerechnet im Heiligen Land schien gerade noch rechtzeitig der große Endkampf zu beginnen, von dem schon Bibel, Jehova, seine Zeugen und Mutter Theresa wussten: das sogenannte Armageddon, die große letzte Schlacht, die die Erde halb blutgetränkt, halb abgefackelt hinterlassen würde. Nur eine Handvoll Auserwählter sollte übrig bleiben, um ein Himmelreich zu errichten, das nach vielen tausend Jahren wieder an den gleichen Punkt kommen würde, an dem wir heute stehen.
Die Maya konnten zwar noch keinen Atomkrieg voraussagen, aber in ihrer Prophezeiung heißt es auch: „Wenn unsere Prophezeiungen angesichts der großen Zeiträume, um die es sich handelt, nicht zu hundert Prozent zutreffen, schauen Sie bitte auch bei Nostradamus nach!“ Nostradamus wiederum hat für jede Art von Vernichtung eine seiner herrlich kryptischen Strophen in petto.
Es hätte also alles perfekt geplant und, ein Traum für deutsche Esoteriker, pünktlich ablaufen können. Überpünktlich sogar, denn in zwei Monaten wären vermutlich auch zwei oder mehrere Endkämpfe zu bewerkstelligen gewesen. Es hätte eben nur zu jenem „Flächenbrand“ kommen müssen, von dem Nahostexperten immer dann sprechen, wenn es eine Nachricht aus dem Nahen Osten gibt.
Im aktuellen Fall hätte Israels Reaktion auf den dauernden Raketenbeschuss überall in den arabischen Ländern wütende Menschen vor die Botschaften der westlichen Länder getrieben, und die Hisbollah hätte sich in den Konflikt eingeschaltet, was wiederum eine Ausweitung der israelischen Operationen nach sich gezogen hätte. Parallel dazu hätte ein weiterer Zwischenfall an der syrisch-türkischen Grenze ein Eingreifen der Nato nötig gemacht, was wiederum Russland und China auf den Plan gerufen hätte.
Schließlich hätte die Veröffentlichung einer Karikatur in der Märkischen Oderzeitung, die den Propheten Mohammed als Ahmadinedschad zeigt, auch das bis dahin von Westerwelle aus dem Konflikt herausgehaltene Deutschland hineingezogen. Denn nach einem iranischen Atomangriff auf Potsdam wären die Forderungen nach einer militärischen Antwort nicht mehr in den Wind zu schlagen gewesen. Alles in allem hätten wir also den schönsten Weltkrieg gehabt, und am 21. 12. 2012 wäre spätestens alles fertig gewesen.
Doch was geschah stattdessen? Die israelische Armee zerstörte in kürzester Zeit die Waffenlager der Hamas. Was die palästinensischen Kämpfer in jahrelanger mühevoller Schmuggeltätigkeit zusammengetragen hatten, wurde in zwei Wochen vernichtet, sodass wohl auch in den letzten Wochen vor dem 21. 12. 2012 kein neuer Angriff der in Europa so beliebten palästinensischen Terroristen mehr zu erwarten ist.
Israel hat nach Erreichen seiner Ziele die Angriffe eingestellt, anstatt völlig durchzudrehen und wild um sich zu bomben. Der Angriff auf den Iran, den westliche und östliche Friedensexperten seit Jahren beschwören, bleibt ebenso aus wie die rituelle Brunnenvergiftung mit Kinderopfern.
Dies wird überzeugte Nahostanalysten freilich nicht davon abhalten, den Israelis genau diese Taten weiterhin vorzuwerfen. Doch nun sind es nur noch drei Wochen bis zum größten Tag der Menschheit, seit es Mayakalender gibt, und die Lage hat sich wieder völlig beruhigt.
Langsam macht sich Unruhe breit unter den Fans des Jahres 2012, die teilweise extra in die mittelamerikanischen Regionen umgesiedelt sind, um dem Ereignis aus nächster Nähe beizuwohnen. Dort sitzen sie nun und spüren noch nichts von dem neuen Bewusstsein, das mal langsam in die Menschen fließen sollte und wenigstens in einem Zipfel des Gehirns oder sonst wo zu spüren sein müsste.
Doch ob Endzeit oder Gedankensprung – eine kleine Hoffnung flackerte wieder auf, als eine Meldung durch die Ticker gejagt wurde: Ratingagenturen haben den Eurorettungsschirm ESM herabgestuft. Wenn das die Maya wüssten!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!