Die Wahrheit: Backen mit Blutfett
Vor Jahren kam ich einmal in die Verlegenheit, für eine Feier einen Kuchen backen zu müssen. Ein Käsekuchen sollte es sein, wurde ich instruiert.
V or Jahren kam ich einmal in die Verlegenheit, für eine Feier einen Kuchen backen zu müssen. Ein Käsekuchen sollte es sein, wurde ich instruiert. Ich aber, so dachte ich zumindest, besaß kein Käsekuchenrezept. Und damals auch noch keinen Internetzugang. Vielleicht war das Internet auch noch gar nicht erfunden, keine Ahnung.
Die Älteren unter uns werden sich an diese Zeiten erinnern – als Informationen noch mühselig zusammengesucht, indianajonesmäßig ausgebuddelt oder gar bezahlt werden mussten. Ich überlegte also, was ich tun könnte: In die Bibliothek oder einen Buchladen gehen? Bei der Nachbarin klingeln? Mutti anrufen?
Bevor ich einen dieser Schritte unternehmen musste, fiel mir ein, dass ich ja doch ein Buch mit Backrezepten mein Eigen nannte. Wenn auch ein seltsames, ein aus guten Gründen noch nie benutztes, eins für Backwaren mit zweifelhaften Surrogatzutaten. Es hieß „Cholesterinarm backen“ und seine Verfasserin trug den pittoresken Namen „Ingrid Malhotra“.
Fragen Sie mich bitte nicht, wie das Buch in meinen Besitz kam. Auf alle Fälle war es nie meine Absicht gewesen, cholesterinarm zu backen. Weder hatte ich irgendwelche Probleme mit den Blutfetten noch konnte ich mir vorstellen, dass cholesterinarm Gebackenes auch nur andeutungsweise schmecken könnte. Das klang für mich wie alkoholfreies Bier, nikotinfreie Zigaretten oder Rockmusik ohne E-Gitarren. Möglich, aber vollkommen reizlos. Da lasse ich die entsprechende Sache doch lieber gleich ganz.
Ich kramte das Buch hervor, suchte darin eine Anleitung zur Herstellung eines Käsekuchens, fand sie – unter dem Namen „Elsässer Quarktorte“ –, las mir die Zutatenliste durch und kam augenblicklich auf eine glor- und folgenreiche Idee: Wie wäre es, wenn ich gnadenlos alle cholesterinarmen Zutaten durch cholesterinreiche Zutaten ersetzte?
Also „Becel-Margarine“ durch eine ordentliche Menge guter Süßrahmbutter, die „Becel-Kaffeesahne“ durch einen Becher Schlagsahne und den nur im Reformhaus zu erwerbenden „Ei-Ersatz“ für insgesamt fünf Eier durch, logo, fünf echte Eier. Und was soll ich sagen: Meine Elsässer Quarktorte war großartig. Atemberaubend schmackhaft, in Form und Konsistenz maßstabsetzend und vor allem: Sie wurde mein Back-Trademark.
Inzwischen habe ich sie sicher über hundert Mal gebacken, sie gelingt und schmeckt immer, erfreut jeden Gast, macht Frauen gefügig, lässt Schwiegermütter dahinschmelzen, Kinderherzen höher schlagen und Russen Kasatschok tanzen.
Inzwischen wird sie in meiner Familie schon in der zweiten Generation gebacken. Als meine dreizehnjährige Tochter kürzlich ihr mehrtägiges schulisches Sozialpraktikum in einem Kindergarten beendete, schenkte sie den Kindern und Erziehern zum Abschied eine selbstständig hergestellte und vor allem ordentlich cholesterinreiche „Elsässer Quarktorte“. Und wurde dafür mit stehenden Ovationen gefeiert. In diesem Sinne: Danke Ingrid Malhotra! Und ich warte gespannt auf ihr neues Buch „Schweißfrei saunieren“.
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