Die Wahrheit: Von Mardern und Menschen
Sogar temporäre Nachbarn sind anstrengende, weil lärmende Wesen. Ganz besonders wenn sie im Zug ihre Sekretärinnen anpfeifen.
E s gibt ja Leute, die wundern sich, wenn Ethnien, die eben noch miteinander auskamen, sich plötzlich die Schädel einschlagen: „Das sind doch Nachbarn!“
Eben, möchte ich dann immer antworten. Wer weit weg ist, kann mir egal sein, mein Nachbar dagegen … eine falsche Bewegung, und es knallt. Ich hatte schon Nachbarn, die das Radio aufdrehten, damit der Marder aufhört zu lärmen. Volksmusik. Ja, der Marder schwieg verdutzt, doch nicht für lange. Dann gab es eine wochenlange Sound-Eskalation. Am Ende sangen die Nachbarn zur Gitarre. Das konnte der Marder nicht. Ich sah, wie er frustriert sein Bündel schnürte, aber erst, nachdem er alle unsere Äpfel aufgefressen hatte.
Nachbarn mit Akkordeons, Nachbarn mit Partyscheune, mit Kampfhundzucht, mit Kindermotorrädern. Um mich herum wohnten schon Dezibeelzebuben aller Art. Sehr stolz war ich mal auf die Anlage eines Froschteichs als Geheimwaffe, bis mir auffiel, dass auch mein Schlafzimmerfenster im Einzugsbereich der grünen Teufel lag.
Viel schlimmer als stationäre Nachbarn sind widersinnigerweise temporäre. Zum Beispiel in der Bahn – man wird sie zwar schnell wieder los, aber leider vereinigen sie alle hassenswerten Eigenschaften der Menschheit auf sich und konzentrieren das Böse mit Hilfe ihrer Evil-Kondensatoren aus dem Bahn-Bonusprogramm genau in meine Richtung, während ich nicht an die Notbremse komme.
Nicht gut riechen, Müll rumliegen lassen und Heftchen lesen mit Sätzen wie „Hatte Ihr Bruder etwa Geschlechtsverkehr mit dieser Tänzerin?“ – das alles qualifiziert dazu, im ICE auf einen Sitz in meiner Nähe zu plumpsen. Moment, der Zug hält ja noch, da kann man rasch heraus springen und Essen besorgen. Es gibt an jedem Bahnhof einen Stand, in dem Sondermüll nach Stinkkategorien sortiert wird, ehe man ihn an Reisende verkauft.
Fünf Minuten nach der Abfahrt wird dann die Sekretärin durchs Telefon angepfiffen, die Müller solle keinen Blumenstrauß kriegen, obwohl sie schon vier Wochen krank sei, man habe schließlich eine Karte geschickt. Lieber solle man sie zum Gespräch einbestellen, sobald sie wieder krauchen kann. Zwischendurch wird von belastbaren Zahlen und dem C-Kunden-Bereich geschwafelt.
Obwohl ich immer noch nicht bewundernd mit den Ohren schlackere, sehe ich offenbar aus wie das geborene Publikum. Denn der Mann lässt nicht locker: Jahresbonus, Strukturverbesserung, 100 Prozent umsetzen. Ich frage mich inzwischen, ob eine Wettbewerbsausschreibung zum Langweiler des Jahres eine belastbare Geschäftsidee sein könnte.
Meine Flucht in den Speisewagen endet bei den sieben Schrankkoffern, die dort stehen. Sie gehören Menschen, denen ein Umzugswagen zu teuer ist und die viel Vertrauen in die Deutsche Bahn haben. Von hinten naht Karl-Heinz Schnarch im teuren Dreiteiler, immer noch in sein Telefon blahend, vorn dräut eine Wand wie von Samsoniten erbaut. Und die Toilette ist natürlich wieder gesperrt.
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