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Die WahrheitTomate – dein Pimmel kann Karate

Kolumne
von Frank Schäfer

Gerade um Kinder und vor allem Mädchen zu mündigen Sprechern zu erziehen, braucht es die Einübung der gepflegten Zote.

N eulich fuhr ich ein paar Kindergartenkinder zu einem Geburtstag. Sie erzählten sich Kinderwitze. Carolin, das einzige Mädchen an Bord, hatte einen größeren Bruder, war ein Jahr älter und vielleicht auch durch ihre exponierte Stellung besonders laut und ausgelassen. Und dass ein Erwachsener zuhörte, schien sie nur noch mehr anzuspornen, als wollte sie mir mal richtig zeigen, was eine idiomatische Harke ist. Zunächst mal kamen die alten Sprüche an die Reihe.

„Sag mal Tomate!“, forderte sie mich auf. „Tomate.“ – „Dein Pimmel kann Karate.“

Die Jungs schütteten sich aus, lachten sich scheckig über diesen kleinen Exkurs in Koprolalie. Sie hatte jetzt Blut geleckt.

„Sag mal Klettergerüst!“ – „Frag mal jemand anderen“, wollte ich ablenken, aber die Jungs johlten. „Neeein, du sollst!“ Also gut: „Klettergerüst.“ – „Du hast ’ne nackte Frau geküsst.“ Es gab jetzt kein Halten mehr. „Sag mal Sofa!“ – „Sofa.“ – „Du fliegst mippm Arschsofa nach Hannover.“

Die Jungen rangen keuchend nach Luft, sie konnten nicht mehr. Und ich verstand sie gut. Mit einem „Sofa“ nach Hannover zu fliegen, ist schon nicht schlecht, aber mit einem veritablen „Arschsofa“, das hatte was und war nicht mehr zu toppen.

„Sag mal Pizza!“ – „Pizza.“ – „Du fliegst mit ’ner Pizza nach Hanizza.“

Ich mochte dieses „Hanizza“, diese kosmopolitische Liaison zwischen Côte d’Azur und Leinestrand, die das Wort stiftete. Aber das Gelächter der Jungs klang jetzt nur noch wie ein Echo des Vorigen. Es fehlte das leicht Ungehörige, das die Benimmkonventionen ein bisschen Herausfordernde. Kinder und Besoffene lieben das Burleske.

Auch ich fühle mich – nicht nur, aber auch besoffen! – wohler in Milieus, in denen das Zotige zu den absolut legitimen, probaten Sprechweisen gehört, sofern es nicht Dauergast und das einzige lachenmachende Mittel ist.

„Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd“, konstatierte einst der römische Komödiendichter Terenz. Bürgerliches Moralgetröte hat den meisten Menschen das ehemals unbefangene Verhältnis zu den eigenen uro-genitalen Vorgängen geraubt. Genauso verhält es sich bei der sprachlichen Ausgestaltung des Somatischen.

So kam mir von einer Bekannten zu Ohren, dass sie ihren Kindern, wenn sie ein Schimpfwort verwendeten, wie weiland im Kaiserreich den Mund mit einem Waschlappen abwusch. Das ist das Milieu, in dem Worte wie „Scheibenkleister“ fallen. Der Gipfel einer tantig-arschverkniffenen Duckmäusersprache.

Man muss die jungen Menschen doch zu mündigen Sprechern erziehen. Und im Sinne einer progressiv-geschlechtsemanzipatorischen Edukation – vor allem die Mädchen! Wie sollen sie die graduellen Abstufungen der Schmutzigkeit und Versautheit erkennen, wie lernen, die passenden Schimpfworte zur jeweiligen Situation zu verwenden, wenn man sie nicht entsprechend üben lässt? Wenn die ganze dampfende und stinkende Scheiße in den immergleichen Wurstdarm des bürgerlichen Verdrängungsjargons gepresst wird? Verdammte Hacke!

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