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Die VorschauLöffeln in der digitalen Ursuppe

■ Der „CineMedia Workshop“ sucht ab heute nach dem Kino des nächsten Jahrtausends

Dem Millenium kann man nicht entgehen. Und so ist es zwar nicht originell, aber wohl unvermeidlich, wenn sich der zweite von Angestelltenkammer und Waller Medienzentrum organisierte Workshop mit „Utopie-Entwürfen im Film und neuen Medien“ beschäftigt.

Zum Glück ist das Paket aus Vorträgen, Filmen, einer Ausstellung und einer Video-Installation nicht ganz so milleniumesk wie zu befürchten war. Im Filmprogramm dürfen die schicken Gen-Cyber-Virtuellen-Computer-Thriller-Utopien der Saison nicht fehlen. Und Filme wie „Matrix“, „Pi“ und „Gattaca“ gehören auch zu den interessantesten Filmen der letzten Jahre. Sie werden immerhin als Originalfassungen mit Untertiteln gezeigt, und David Cronenbergs „eXistenZ“, bei dem ein Computergame den Mitspielenden in Fleisch und Blut eingepflanzt wird, läuft lobenswerterweise hier als Preview im Original.

Ähnlich phantastische Welten wie in diesen Spielfilmen haben auch die Dokumentarfilmer Mischka Popp und Thomas Bergmann gefunden. Sie zeigen in ihrem Film „Kopfleuchten“ Menschen, deren Hirne durch Krankheiten und Verletzungen anders funktioneren als bei Gesunden. Dadurch wird auch ihre Wirklichkeit eine andere, und wenn der Film ihnen in diese Parallelwelten folgt, wird dabei das Rätsel des Denkens, Lebens und Seins immer größer. Der gesamte Sonntag ist schließlich einem Avantgardefilmemacher gewidmet, der inzwischen nur noch mit der Digitalfilmtechnik „DVD“ arbeitet. Der in Rom lebende Amerikaner Jon Jost wird selber über dieses ganz neue, andere Filmemachen berichten. Und er zeigt zwei Filme: „London Brief“ und „Nas Correntes De Luz da Ria Formosa“, der so neu ist, dass selbst die Veranstalter keine Ahnung haben, wovon er handelt. Mit „Framup“ wird dann schließlich noch einmal der wohl beste Zelluloidfilm von Jost gezeigt.

Die Vorträge gehen das Thema aus verschiedenen Richtungen an: Der Filmkritiker Detlev Kuhlbrodt erzählt von der „Sehnsucht nach der wahren Wirklichkeit“, der Science-Fiction-Experte Robert Hector fragt (egal ob nun real, als Schimäre oder Fiktion): „Die Welt – eine Illusion, Simulation oder Konstruktion?“. Eher psychoanalytisch wird die Frage „Gibt es ein Leben nach der Wirklichkeit“ von Professorin Gerburg Treusch-Dieter behandelt. Aber den Preis für den schönsten Vortragtitel bekommt der„Digital Artist“ Michael Orthwein für seine „Digitale Ursuppe – Perspektiven der Filmproduktion“.

Eine Überwindung der bei Kino und Video ja immer noch gleichen Blickrichtung bietet die Video-Installation „Never Touch a Running System“ von Jan Verbeek, dem Meisterschüler von Nam Jung Paik, der auf vier in einem Raum verteilten Fernsehern Videos zeigt, die sich ergänzen, widersprechen oder rhythmisch kommentieren.

Als Kontrapunkt zu all den Hightech- Filmen, -Technologien und -Theorien gibt es in der Ausstellung „Eine Welt in der anderen“ schließlich schöne, bunte und meist runde Objekte von Martin Dessecker, die zunächst ganz harmlos dem Auge schmeicheln, aber sofort danach tief irritieren, weil es unmöglich ist, zu sagen, was sie darstellen. Diese Formen aus Stoff sind surreale Dinge; sie erinnern manchmal an Bälle, Körperteile, Möbel oder Tiere, sind dann aber doch etwas Anderes, Undefinierbares.

Wilfried Hippen

Der Workshop findet vom 4. bis 7. 11 statt. Spieldaten und Kritiken der Filme stehen in der heutigen Kinotaz. Die Vortragstermine können unserem Tageskalender entnommen oder unter 387 67 31 erfragt werden.

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