: Die Viktorianische Falle
■ Schon wieder erschüttert ein Sex–Skandal die britische Tory–Party / Jeffery Archer, Parteivize und Bestseller–Autor, muß wegen „Unmoral“ seinen Hut nehmen
Aus London Rolf Paasch
Der eine schwängerte seine Sekretärin, der andere wurde jetzt dabei erwischt, wie er einer Prostituierten ein Bündel mit Pfundnoten zustecken ließ, damit sie nicht plauderte. Die Rede ist nicht von schillernden Romanfiguren, sondern von Parteioberen der britischen Konservativen Partei. 1983 war es Parteichef Cecil Parkinson, der über seine Kreativität im falschen Feld stolperte, am vergangenen Sonntag mußte nun Parteivize und Bestsellerautor Jeffrey Archer seinen Abschied nehmen; schließlich lautet der Titel seines letzten Romans „Ehrensache“. Er habe die Prostituierte nie getroffen, verteidigte sich Archer: „Ich bin da in eine Falle gestolpert“. „Sex–Skandal bei den Tories“, da krümmt sich das ganze Land wieder vor Schadenfreude, geht der vom regnerisch–grauen Alltagsleben gestreßte Normalbürger dem britischen Lieblingssport nach: dem öffentlichen Klatsch über die hierzulande sorgfältig gepflegte Doppelmoral. Die Tatsache, daß hier eines der Murdoch–Schmutzblätter auf dem Weg zur „Super–Sex–Story“ private Telephongespräche abhörte, geht in dem geheuchelten Aufschrei freudiger Empörung nur allzu leicht unter. Zugegeben, Jeffrey Archers Karriere liest sich wie seine Romane: mit 27 jüngster Unterhausabgeordneter und Organisator so spektakulärer wie zweifelhafter Wohlfahrtsveranstaltungen. Dann sein Rücktritt, nachdem ihn eine Fehlinvestition mit einem Schuldenberg in Millionenhöhe zurückläßt. Binnen sechs Wochen schreibt er seinen ersten Bestseller, dem sieben weitere Carre–Konsalik– Verschnitte mit einer Gesamtauflage von 25 Mio. folgen. Geblendet von seinem Charme und seinen Millionen, beruft ihn Frau Thatcher 1985 zum stellvertretenden Moralspender in der etwas angeschlagenen Tory–Party. Daß die Eiserne Lady mit dem smarten Jeffrey nun schon den zweiten Parteichef verabschieden muß, der mit seinen Manieren nicht in das moralische Korsett viktorianischer Werte paßt, in das sie den Rest der Nation zwängen will, sollte nicht nur ihr zu denken geben. Auf Jeffrey Archers literarische Verarbeitung seines jüngsten Falles dürften wir jedenfalls gespannt sein. Voraussichtlicher Titel: „Die Viktorianische Falle“.
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