Die Vergessenen des deutschen Kinos

FRAUENFILMGESCHICHTE Eine Reihe im Regenbogenkino zeigt, wie Filmemacherinnen von Ula Stöckl bis Evelyn Schmidt sich vom männlich dominierten Blick des Kinos in BRD und DDR befreiten

Kamera wie Darstellerinnen lassen alle Drehbuchsicherheiten hinter sich

Wenn auf die Benachteiligung von Frauen im Filmgeschäft hingewiesen wird, geht es meistens um den geringen Anteil von Regisseurinnen in Hollywood-Studiofilmen oder im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes. Mindestens ebenso erstaunlich und erklärungsbedürftig ist jedoch, dass auch in vielen Bereichen des Kinos, in denen es um deutlich weniger Geld und Prestige geht, Frauen einen schweren Stand haben: In den diversen Underground- und Independentfilmszenen sind sie auf den ersten Blick zwar manchmal besser vertreten, gerade rückblickend, in den Selbstbeschreibungen und Legendenbildungen, sind es aber doch oft wieder nur „a few brave men“, die den Kampf gegen „das System“ aufgenommen haben.

Zum Beispiel auch den Kampf gegen „Papas Kino“: Der Neue Deutsche Film, der in den 1960er Jahren angetreten war, das deutsche Kino nach den als bleiern empfundenen Nachkriegsjahren wiederzubeleben, wird heute zumeist reduziert auf Fassbinder, Wenders, Herzog; oder vielleicht noch auf die 26 Unterzeichner des „Oberhausener Manifests“ – allesamt Männer. Höchstens am Rande erwähnt wird dagegen eine Filmemacherin wie Ula Stöckl; und das, obwohl ihr Debütfilm „Neun Leben hat die Katze“ damals zu den zentralen Werken der neuen Filmbewegung gezählt wurde.

Jetzt kann man dieses Filmgedicht, das nicht entlang einer Geschichte organisiert ist, sondern fünf ganz unterschiedliche weibliche Lebensentwürfe in einer erstaunlich freien Form ausbreitet, wiederentdecken: Im Rahmen der Reihe „Filmemacherinnen“, die das Regenbogenkino noch bis Anfang nächster Woche fortsetzt. Die Auswahl enthält auch einen Film der amerikanischen Experimentalfilm-Legende Maya Deren, aber hauptsächlich geht es ihr darum, die vergessenen Aspekte der deutschen (Frauen-)Filmgeschichte ein wenig sichtbarer zu machen.

Stöckls Debüt etwa kann man als eine Art Unabhängigkeitserklärung einer Filmemacherin verstehen, die sich nicht nur vom männlichen Blick befreien wollte, sondern auch von einem deutschen Kino, das gerade in seinen avancierteren Spielarten stark literarisch überformt war; in „Neun Leben hat die Katze“ lassen Kamera wie Darstellerinnen alle Drehbuchsicherheiten hinter sich, stürzen sich neugierig auf eine Welt, die bislang nicht für sie gemacht schien.

Oder „Das Fahrrad“, ein Sozialdrama, 1982 in der DDR entstanden. Evelyn Schmidt war eine von wenigen Frauen, die dort in der staatlichen Produktionsgesellschaft Defa als Regisseurin arbeiten konnten. In ihrem zweiten Langfilm geht es um die junge Mutter Susanne, die sich in der realsozialistischen Gemeinschaft grundsätzlich unwohl fühlt, ihre Arbeit in einer Fabrik hinschmeißt, in Geldschwierigkeiten gerät, einmal nach einem langen Kneipenabend vergewaltigt wird (nur angedeutet wird das im Film, in einer einzigen, langsamen, beängstigenden Kamerafahrt), sich dann vorsichtig an eine neue Beziehung heranwagt, mit Thomas, einem klassischen Frauenverstehertyp. Dessen Toleranz hat allerdings, wie sie bemerkt, als sie wegen einer Bagatelle mit dem Gesetz in Konflikt gerät, ebenfalls enge Grenzen. Das Fass zum Überlaufen bringt dabei weniger die nüchterne Strafandrohung selbst als die paternalistischen Moralpredigten, die von allen Seiten, und insbesondere auch von Seiten des selbstgerechten Thomas, auf sie einregnen.

Heute begeistert der Film nicht nur wegen so großartig beobachteter Szenen wie jener, in der die Fahrrad fahrende Susanne von einem Streifenpolizisten angehalten wird und dessen Belehrungen mit genervter Coolness abwimmelt; sondern vor allem auch als eine Momentaufnahme ostdeutschen Alltagslebens: Zahlreiche tolle Kneipen- und Tanzszenen erlauben einen Blick auf vorsichtig ausprobierte subkulturelle Lebensweisen, aber Routinearbeiten im Haushalt und kleine Streitereien am Arbeitsplatz haben für Schmidt exakt denselben Wert. Dazu ein wunderschöner Titelsong: „Liebe lässt von Liebe nicht.“

Lukas Foerster

■ Filmemacherinnen: bis 17. 3., Regenbogenkino, Programm unter www.regenbogenkino.de