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■ Die Verantwortung für das Drama von Bad Kleinen liegt nicht in MainzDer V-Mann als Doppelagent

Nun ist wieder die Zeit des großen Wehklagens: Der vermeintliche Superspitzel spielte mit gezinkten Karten! Er war vorab über die Knastsprengung in Weiterstadt informiert und schwieg! Er traf sich mit RAF-Kadern auch ohne staatliche Oberservationstrupps im Schlepptau und schwieg! Ein „grandioses Desaster“, jammern die Kommentatoren – und eröffnen, Krokodilstränen absondernd, die Jagd auf die politisch Verantwortlichen in der Provinz. Geradezu provozierend erinnert sie das Mainzer Polit-Tableau an die jüngst verblichene Konstellation in Kiel. Der rheinland-pfälzische Innenminister Walter Zuber soll den Günther Jansen machen, Rudolf Scharping den Björn Engholm.

An Merkwürdigkeiten herrscht in der Tat kein Mangel: die häppchenweise Information der Öffentlichkeit durch Zuber, die mit der angeblichen Gefährdung des V-Mannes längst nicht mehr erklärt werden konnte; das demonstrative Nichtwissen des Ministerpräsidenten, den vor dem Debakel von Bad Kleinen niemand vom historischen Erfolg seines Verfassungsschutzes unterrichtet haben will.

Dennoch ist die Hatz, die nun eröffnet wird, in zweifacher Hinsicht unappetitlich. Erstens: Es fällt offenbar gar nicht mehr ins Gewicht, daß diejenigen, die noch eine Woche zuvor verbreiteten, Mainz sei vor Weiterstadt über den geplanten RAF-Anschlag informiert gewesen, jetzt mit derselben Aufgeregtheit die Ahnungslosigkeit der Verantwortlichen geißeln. Beim politischen Wildwestspiel scheint inzwischen gleichgültig, warum einer dran glauben muß. Hauptsache, man kann sich am Ende den Skalp an den Gürtel schnüren. Zweitens: Die Diskussion, die nun anhebt, hat einen von manchen ihrer Wortführer durchaus gewünschten Nebeneffekt. Sie lenkt ab von der Kernfrage, wer die Toten von Bad Kleinen und die gewollte oder ungewollte Unmöglichkeit der Aufklärung zu verantworten hat. Zuber und Scharping jedenfalls können dafür schwerlich zur Rechenschaft gezogen werden.

Nach den Eingeständnissen des Mainzer Innenministers scheint eines klar: Der mutmaßlich erste V-Mann, den die Staatsschutzbehörden in 23 Jahren an die Untergrundgruppe der RAF heranführen konnten, war so etwas wie ein Doppelagent. Er hat sich nie vorbehaltlos für eine Seite entschieden. Ja, er fühlte sich bis zum Schluß der linken Szene, die seinen Alltag ausfüllte, stärker verbunden als den geheimen Schlapphüten. Das gibt ihm die Bundesanwaltschaft nun sozusagen schriftlich, indem sie gegen ihren freien Mitarbeiter wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ermittelt.

Zu fragen wäre, ob die Persönlichkeitsspaltung des Klaus Steinmetz nicht eine notwendige Voraussetzung war für den fragwürdigen „Erfolg“, den laut zu feiern sich nun niemand mehr traut. Die These lautet: Nur weil der angebliche Superspitzel seinen Auftraggebern aus dem Ruder lief, konnte er das Vertrauen der RAF erwerben. Wäre es so, könnte dies nicht ohne Konsequenzen für die Zukunft bleiben. Der Versuch, die RAF mit V-Männern zu unterwandern, wäre nicht länger zu verantworten.

Dabei klingt nicht unplausibel, was der „Dritte Mann“ zu seiner Verteidigung vorbringt. Zu Weiterstadt und frühen Treffs mit RAF-Aktivisten habe er gegenüber den Behörden geschwiegen, um das Blutbad zu verhindern, das schließlich in Bad Kleinen doch noch stattfand. Wer von denen, die den eben noch gefeierten Superspitzel nun zum Terror-Sympathisanten im Staatsdienst stempeln wollen, würde die Hand dafür ins Feuer legen, daß ein Zugriff auf die – vermutlich – gesamte, mit automatischen Waffen und 200 Kilogramm Sprengstoff ausgerüstete RAF-Belegschaft in Weiterstadt nicht weit mehr Menschenleben gekostet hätte, als nun zu beklagen sind?

Steinmetz sollte für die RAF, ganz im Sinne ihrer propagierten Wiederannäherung an die linksradikale Szene, den kurzen Draht zur Wiesbadener Basis herstellen. Mindestens ein Treff lag zeitlich vor der sogenannten Deeskalationserklärung der RAF vom April 1992. Der V-Mann hält sich offensichtlich zugute, die Gruppe in ihrer Absicht bestärkt zu haben, „Angriffe auf führende Vertreter aus Wirtschaft und Staat“ einzustellen. Und er war möglicherweise im Gegensatz zu seinen staatlichen Auftraggebern überzeugt, daß in einer Phase der Deeskalation „Fahndungserfolge“ wie der von Bad Kleinen nur kontraproduktiv wirken können. Doch dann hat er sich – warum oder unter welcher Form äußeren Drucks auch immer – vom Gegenteil überzeugen lassen. Als das Drama auf dem Bahnsteig von Bad Kleinen gelaufen war, deckte er seine früheren Freunde mit dreist-flehenden Rechtfertigungslügen ein. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war für Klaus Steinmetz die Rolle des Wanderers zwischen den Welten eine Nummer zu groß geworden. Gerd Rosenkranz

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