piwik no script img

■ Die Ursache für den Brand in einer Ausländerunterkunft in Lübeck war bis gestern nachmittag noch nicht endgültig geklärt. Die Hinweise auf vorsätzliche Brandstiftung mit ausländerfeindlichem Hintergrund jedoch sind kaum zu übersehen.Fürc

Die Ursache für den Brand in einer Ausländerunterkunft in Lübeck war bis gestern nachmittag noch nicht endgültig geklärt. Die Hinweise auf vorsätzliche Brandstiftung mit ausländerfeindlichem Hintergrund jedoch sind kaum zu übersehen.

Fürchterlicher Verdacht ist begründet

Während Polizei und Staatsanwaltschaft in dem grauen Behördengebäude in Lübeck die Zahl der Toten und den Stand der Ermittlungen verkünden, versammeln sich über 100 Menschen aus Ghana und Zaire vor dem Polizeigebäude. Sie singen Lieder und tragen ein weißes Band um den Kopf, als Zeichen der Trauer. Im Gebäude berichtet der leitende Kriminaldirektor der Polizeidirektion, Winfried Tabarelli, von neun Toten, darunter drei Kinder. Und Schleswig-Holsteins Generalstaatsanwalt Heribert Ostendorf merkt an, es könne durchaus weitere Todesopfer geben.

Die Ermittlungen gehen in alle Richtungen, wiederholt Tabarelli gleich mehrmals fast demonstrativ und zählt auf: „Kann sein, es ist eine Straftat mit fremdenfeindlichem Motiv, kann sein vorsätzliche Brandstiftung, kann sein eine technische Ursache.“

Drei Männer, davon zumindest einer nach Angaben der Staatsanwaltschaft im typischen Skinheadoutfit mit Bomberjacke, Springerstiefeln und kurzem Haarschnitt, wurden im Laufe des Vormittags festgenommen. Tabarelli erklärt, sie würden als Zeugen vernommen. Eine konkrete Aussage, ob sie Tatverdächtige seien, lasse sich zur Zeit nicht machen. Ganz anders scheint dies der ermittelnde Staatsanwalt, Michael Böckenhauer, zu sehen. Er erklärt vor Dutzenden von Journalisten, die drei, die aus Mecklenburg-Vorpommern kommen, seien als Beschuldigte vorläufig festgenommen worden.

Haben Verhaftete Kontakt zur Neonazi-Szene?

Aufgefallen waren die Männer etwa zehn Minuten nach Ausbruch des Feuers in dem vierstöckigen Mehrfamilienhaus. Um die Ecke, ungefähr hundert Meter entfernt, saßen sie in ihrem Auto. Augenzeugen zufolge sollen die drei versucht haben, zu verschwinden, als sich die Polizei näherte. Die Beamten nahmen die Personalien auf und ließen die drei wieder gehen. Stunden später wurden zwei von ihnen in Grevesmühlen in Mecklenburg-Vorpommern verhaftet. Der dritte stammt aus einem Nachbarort.

Tabarelli erklärt, es gebe keinerlei Erkenntnisse über Verbindungen zur rechtsradikalen Szene. Das Lübecker Bündnis gegen Rassismus dagegen hat Informationen über enge Kontakte zwischen der Grevesmühlener Neonaziszene und der seit 1992 verbotenen Nationalistischen Front. Eine Liste mit vier Namen reichen Mitglieder des Bündnisses während der Pressekonferenz herum. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen mehrfachen Mordes und schwerer Brandstiftung. Die Generalbundesanwaltschaft wird laufend informiert.

„Sonst war es doch immer friedlich hier“

Unterdessen ist das Feuer im Haus in der Lübecker Innenstadt noch nicht völlig erloschen. Menschen stehen weinend davor, können es nicht fassen, bringen kaum Worte über die Lippen. In dem Haus lebten Menschen aus Angola, Zaire, dem Libanon, Syrien und Polen. Zwei zehnjährige Mädchen sind entlang der unwirtlichen Hafenstraße auf dem Weg zu dem Haus: „Von unserer Freundin der Bruder ist tot. Da müssen wir doch was tun und helfen“, sagt eine der beiden. Sie saß in derselben Klasse wie einige Kinder aus dem abgebrannten Haus: „Als die heute nicht zur Schule kamen, haben wir geweint. Sonst war es doch immer friedlich hier.“

Landtagspräsidentin Ute Erdsiek-Rave, die sich ebenfalls auf der Pressekonferenz informieren wollte, ist erschüttert: „Das ist so ziemlich das Schrecklichste, das man sich vorstellen kann, was in Lübeck noch passieren konnte.“ Und leise flüstert eine andere Frau: „Wenn künftig die Orte von rechtsradikalen Anschlägen genannt werden, wird es wohl heißen Rostock, Hoyerswerda, Solingen, Mölln, Lübeck, Lübeck, Lübeck ... Und das einen Tag nachdem Israels Präsident Weizman die Bundesrepublik wieder verlassen hat.“ Kersten Kampe, Lübeck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen