■ Die Untergrundgruppe antwortet ihren Kritikern im Knast: Reformer in der RAF
Wohl noch nie in ihrer 23jährigen Geschichte war die Untergrundgruppe der RAF politisch so berechenbar, waren ihre Verlautbarungen so eindeutig. Die Illegalen mußten sich zu den massiven Vorwürfen der Gefangenen um Brigitte Mohnhaupt, Helmut Pohl und Eva Haule erklären. Sie taten es prompt und in einer Klarheit, die nichts zu wünschen übrigläßt. Der auf Zustimmung von links außen angelegte und an Denunziation grenzende Versuch der Gefangenenmehrheit, ihre Nachfolger im Untergrund der Kungelei mit dem Staatsapparat zu bezichtigen, ist vom Tisch. Es waren die Gefangenen selbst, die die Illegalen lange vor der „Deeskalationserklärung“ vom April 1992 animierten, den bewaffneten Kampf vorerst einzustellen – auch um die Chancen auf die eigene Freiheit zu erhöhen. Nach der staatlichen Null-Reaktion auf die April-Erklärung und der demonstrativen Antwort von Weiterstadt griff die RAF den Gedanken der „Gesamtlösung“, vermittelt über ihre verbliebenen politischen Freunde im Celler Knast, wieder auf. So konkret, so autonom und so „realpolitisch“, daß manchem Revolutionär innerhalb und außerhalb der Mauern der Schreck in die Glieder fuhr. Vielleicht hätte der Einsatz Edzard Reuters oder Ignatz Bubis' ja ganz andere Resultate gezeitigt, wenn der Staatsschutzapparat nicht gleichzeitig eine andere Gesamtlösung vor Augen gehabt hätte, die den Namen Klaus Steinmetz trug und in Bad Kleinen zu Grabe getragen wurde.
Die RAF lebt also weiter. Und doch müßten nach der gestrigen Erklärung selbst die verschnarchtesten Staatsschützer (und verantwortlichen Politiker) registriert haben, daß nichts mehr ist, wie es war. Selbst der desaströse Einsatz von Bad Kleinen hat die Entscheidung der Illegalen nicht tangieren können, auf blutige Attentate „für den jetzt notwendigen Prozeß“ zu verzichten. Eine „Option auf bewaffneten Kampf“ hält sich die Gruppe trotzdem offen. Aber zu welchem Zweck? Bisher sollte, dies wird in der Erklärung in aller Offenheit bestätigt, die latente Anschlagdrohung die Politik zu mehr Beweglichkeit in der Gefangenenfrage animieren. Das ist vorbei, die Inhaftierten selbst lehnen diese Verknüpfung kategorisch ab.
Viel wichtiger als diese eher taktisch-praktischen Überlegungen ist das der Deeskalationsentscheidung zugrundeliegende politische Konzept: Es bestätigt sich erneut in der engen Koalition der Illegalen mit den Inhaftierten Karl-Heinz Dellwo, Lutz Taufer und Knut Folkerts. Die Celler Gefangenen haben versichert, daß keiner von ihnen erneut in den Untergrund gehen würde. Sie haben in ausführlichen Erklärungen politisch begründet, warum die radikale Linke – und mit ihr die RAF – den Weg zurück in die Gesellschaft suchen müsse. Sie sind dafür von Teilen der linksradikalen Szene des „Reformismus“ gescholten worden. Die RAF hat sich in den vergangenen Monaten mehrfach positiv auf die Texte der Celler bezogen. Verkehrte Welt: In der linksradikalen Debatte zählen diejenigen zu den „Reformern“, die als Mörder und Terroristen auf den Fahndungslisten stehen. Wer in der Politik die damit verbundene historische Chance nicht begreift, macht sich mitverantwortlich für die Fortsetzung einer Auseinandersetzung, die in dieser Form niemand mehr will. Gerd Rosenkranz
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