: „Die Uno wird ihnen nicht helfen“
■ 39 LKW-Ladungen Überlebensmittel für Tuzla / „Brücke der Hoffnung“ zieht Zwischenbilanz
Über eine Million Mark hat die Bremer Bosnien-Initiative „Brücke der Hoffnung“ für die Region um Tuzla in diesem Jahr gesammelt - Start der Hilfe-Aktion war der 1. November 1993 gewesen. Dies teilte Marieluise Beck, eine der SprecherInnen des Bremer Bosnien-Komitees, auf einer Bilanz-Pressekonferenz gestern mit. Dabei machen die Sachspenden, die nicht in diese Rechnung eingehen, seit Monaten den größeren Teil der Hilfslieferungen aus; mit dem Bargeld werden im wesentlichen die Transporte finanziert. Zehn Tonnen Papier, „damit die Schulkinder wieder auf etwas schreiben lernen können“, 95 Krankenhaus-Betten, kistenweise Medikamente, deren Verfallsdaten für die strengen deutschen Vorschriften fast abgelaufen sind, eine Zahnambulanz, zuletzt gut erhaltene Kinderschuhe sammelte die Bremer Gruppe bei Einzelpersonen, Institutionen und auch bei Firmen. Zuletzt waren es „15 Tonnen wunderbare Kleidung“, freut sich Marieluise Beck, „darunter bald 100 Pelzmäntel“. Insgesamt gingen 39 LKW-Ladungen nach Tuzla und Lukovac- pro LKW betragen allein die Transportkosten von 4-8.000 Mark; von der kroatisch-bosnischen Grenze aus, erläutert Claus Gehlhaar, fahren kroatische Fahrer durch die umkämpften Gebiete nur gegen besondere Gefahrenzulage (siehe Karte).
Tuzla ganz im Norden der bosnischen Rest-Republik ist von drei Seiten eingekreist. Jederzeit wäre es den serbischen Truppen möglich, die Stadt abzuschneiden - wie Bihac. „Sie wissen, die Uno wird ihnen nicht helfen“, sagt Marieluise Beck. Auch Deutsche natürlich nicht. „Am wichtigsten ist deshalb die ideelle Unterstützung.“ Der Bürgermeister von Tuzla und der Gemeinderat halten gegen erhebliche Widerstände an der Idee fest, daß Kroaten, muslimische Bosnier und katholische Serben zusammenleben können. Da tut es gut, auf die besondere Hilfe aus Deutschland verweisen zu können.
Deutschland spielt offenbar eine besondere Rolle in Bosnien. 380.000 Flüchtlinge sind in der Bundesrepublik untergekommen, zehnmal soviele wie in irgend einem anderen europäischen Land. Viele von ihnen schicken Geld - und haben damit die DM zur harten Währung in mancher bosnischen Region gemacht. Die deutsche Hilfe schützt vor keiner Granate - aber zeigt, daß man nicht ganz vergessen ist, sie hilft überleben. Alle 15, 20 Minuten schießen die serbischen Truppen eine Granate nach Tuzla ab - „Psychoterror“, sagt Andrea Frohmader vom Bosnien-Komitee dazu. Die Geschosse richten rein militärisch gesehen nichts aus - sie sind Nadelstiche und halten die Menschen in Angst. Abschuß und Einschlag sind gut hörbar. Lehrer überlegen manchmal fünf Minuten nach dem letzten hörbaren Granat-Einschuß, ob sie nicht lieber bis nach dem nächsten Granat-Einschlag warten, bevor sie die Kinder rauslassen - die rennen dann los, haben maximal 15 Minuten Zeit...
Die EG-Referentin des Umweltsenators, Susanne Paas, hat ihre professionelle „Furchtlosigkeit im Umgang mit der EU“, wie sie selber sagt, eingebracht in die Arbeit des Bosnien-Komitees und in Brüssel 800.000 Mark für humanitäre Hilfe locker gemacht. Auf die Frage, was man denn dafür geliefert bekommen wolle, so berichtet sie, sei aus Tuzla die eindeutige Antwort gekommen: Mehl, Öl, Zucker. Überlebensmittel also. Es fehlt eben an allem. „Wenn wir Schuhe liefern, fehlen die Schnürsenkel“, beschreibt Susanne Paas die Lage. Und da die Grund-Überlebensmittel dank der EU-Hilfe jetzt für die nächsten Monate gesichert sind, kann das Bremer Bosnien-Komitee sich auf andere notwendige Überlebensmittel konzentrieren.
Bis zum 31.12.1994 legt Bremen übrigens auf jede Spendenmark eine aus der Landeskasse drauf - 68.000 Mark für die „Brücke der Hoffnung“ nach Tuzla sind seit Oktober 94 bisher zusammengekommen. (Spendenkonto ASB 1186618, Sparkasse in Bremen). Und am 10. Januar, betont Andrea Frohmader, trifft sich das Bosnien-Komitee wieder in großer Runde. Wer mithelfen will - 20 Uhr, Osterdeich 6. K.W.
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