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■ Die Umverteilung von (Finanz-)Kapital – davon dürfen wir nicht einmal mehr träumenKapitalistische Verwahrlosung

betr.: „Bündnis für Arbeitslose“, taz vom 12. 8. 02

„Bündis für Arbeitslose“, schreibt der Kommentator Daniel Haufler. Handelt es sich dabei um den Originalabdruck aus der PR-Abteilung der Hartz-Kommission? – „Ein schöner Tag für Arbeitslose“ (Hartz). Hier gaukelt uns eine Kommission vor, sie würde die Arbeitslosenzahlen halbieren können. Das ist die Rahmung. Das ist unseriös (sofern man keine statistischen Tricks anwendet). Es ist unverschämt, dass man vernünftige Menschen überhaupt mit so einer Schwachsinnsaussage konfrontiert.

Steigende Arbeitslosenzahlen sind primär das Ergebnis eines Systems, das (mit) immer weniger Menschen immer mehr Güter und Dienstleistungen zu produzieren vermag. Die Zeiten der Vollbeschäftigung sind für immer passé. In Kombination mit einer konjunkturellen Flaute (andere sagen Wirtschaftskrise) steigen nun mal Arbeitslosenzahlen. Und die Hartz-Kommission tut so, als könnte sie diese Logik außer Kraft setzen, indem sie Nebelkerzen zündet wie „Job-Center“, „Job-Floater“, „Fördern und fordern“…! Das ist das Verlogene an dieser wohl durch den Wahlkampf erzwungenen Theaterveranstaltung.

Niemand hat etwas dagegen, die Abläufe bei der Arbeitsvermittlung zu vereinfachen und zu optimieren. Aber mit diesem bescheidenen Ziel tritt diese Kommission nicht an! Mit halb garen Meldungen und mit unvollständigen Ergebnissen, die zudem immer wieder nachgebessert werden, werden seit Tagen die Medien gefüttert. Und eurem Kommentator fällt nichts Besseres dazu ein, als diesen Quatsch als „Bündnis für Arbeitslose“ zu feiern. […]

ANDREAS HOERMANN, Frankfurt/Main

Daniel Haufler schreibt in seinem Kommentar: „Wenn die Konjunktur nicht anspringt, wird es bei der Massenarbeitslosigkeit bleiben.“ Dies ist eine bemerkenswert merkwürdige Aussage. […]

Denn ist es nicht so: Die Ökonomie dieser Gesellschaft wird unter anderem vom Zwang und vom Willen zur Rationalisierung getrieben. Die Produktivität steigt im selben Maße, in dem der Einsatz menschlicher Arbeitskraft überflüssig gemacht wird. Das ist in Zeiten angesprungener Konjunktur ebenso wie in Zeiten schwacher Konjunktur. Wer all das kaufen und auch noch (ge)brauchen soll, was dank hoher Produktivität auf den Markt geworfen wird, ist eine der sich dadurch stellenden Fragen. Eine der Antworten lautet: Die tausenden von Arbeitskräften, die durch die Steigerung der Produktivität auf den Arbeitsmarkt geworfen werden, können ganz offensichtlich nicht durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze in bezahlte Beschäftigung gebracht werden. Da hilft auch kein „Anspringen der Konjunktur“, es handelt sich vielmehr um die „Rationalität“ dieser Ökonomie, dass menschliche Arbeit überflüssig (gemacht) wird.

Einzig Umverteilung wäre eine Möglichkeit, Erwerbslosigkeit erheblich zu reduzieren. Diese würde jedoch Besitzstände nicht nur tangieren, sondern angreifen und ist insofern eine „unrealistische“ Perspektive. 30-Stunden-Woche ohne Lohnsenkung für diejenigen, die jetzt schon wenig genug verdienen. 30-Stunden-Woche mit Kürzung des Einkommens für diejenigen, die genug (oder zu viel) verdienen. Die Umverteilung vom Kapital, insbesondere Finanzkapital, zur Arbeit wäre allerdings ein wesentlich effektiverer politischer Akt, die Schaffung von Arbeitsplätzen und sozialer Gerechtigkeit miteinander zu verbinden. Aber davon dürfen wir ja nicht einmal mehr träumen. RICHARD KELBER,

Dortmund

betr.: „Haben die Demokraten Rückgrat?“ (In den USA spüren immer mehr Menschen die Auswirkungen von Niedriglohnjobs und Deregulierung. Eine zeitgemäße Kapitalismuskritik bietet die Demokratische Partei ihrer Klientel trotzdem nicht), taz vom 10. 8. 02

Dankenswerterweise weiß die taz-Öffentlichkeit nun durch Norman Birnbaum Bescheid, wie ununterscheidbar gekaufte Parteien, wie in den USA die Republikaner und die Demokraten, demokratische Anliegen nicht einmal mehr zu formulieren wissen. Auch bei uns fehlt es entschieden an PolitkerInnen, die die Fragen gegen die kapitalistische Verwahrlosung überhaupt begreifen.

Erwerbslose und Arm-Arbeitende, stürmt ihre Cocktailpartys!

HALINA BENDKOWSKI, Berlin

betr.: „Anstieg im Juni“ (Deutsche Ausfuhren), taz vom 10. 8. 02, Kurzmeldung Seite 2

Im Export ist die deutsche Wirtschaft nach wie vor erfolgreich, dagegen versagt sie auf dem Inlandsmarkt kläglich und produziert Arbeitslosigkeit ohne Ende. Über die wahren Hintergründe dieser Diskrepanz schweigen sich die so genannten Wirtschaftsweisen und die ihnen offenbar nahe stehenden Wirtschaftsverbände schamvoll aus.

[…] Seit 20 Jahren müssen sich Arbeitnehmer(innen) damit abfinden, dass ihre Löhne (Ausnahme das Jahr 2002) in der Regel nur der Inflationsrate angepasst werden. Die Streichung von freiwilligen Firmenleistungen, die Reduzierung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe, die Kürzung von Renten und die Erhöhung kommunaler Gebühren schwächen die Kaufkraft breiter Bevölkerungsschichten derart, dass es gerade noch für das Notwendige reicht. Indiz: die katastrophalen Einzelhandelsbilanzen.

[…] Die jahrelangen Pressekampagnen der Unternehmensverbände gegen angeblich zu hohe Löhne zeigen nun fatale Auswirkungen. Die Firmen haben selbst den Ast abgesägt, auf dem sie bisher profitorientiert saßen, und fallen so hart in selbst verschuldete Insolvenzen. Ohne Kaufkraft gibt es keinen Profit. Das ganze Gerede über notwendige Strukturveränderung auf dem Arbeitslosenmarkt ist nichts anderes als das 20-jährige Pfeifen im Wald unfähiger Regierungen. Arbeitslose können nur vermittelt werden, wenn Arbeitsplätze vorhanden sind. […]

HANS KLOEP, Bergisch Gladbach

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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