: „Die Uhr der Zellen zurückgestellt“
US-Forschern der Harvard-Universität ist es erstmals gelungen, embryonale Stammzellen zu entwickeln, ohne das Klonverfahren anzuwenden. Die Zellen sind voll entwicklungsfähig und können so alle möglichen Körperzellen bilden
VON WOLFGANG LÖHR
Ein Bostoner Forscherteam um Kevin Eggan konnten Hautzellen von Erwachsenen so umprogrammieren, dass sie die Eigenschaften von embryonalen Stammzellen besitzen. Diese Zellen sind noch voll entwicklungsfähig. Aus ihnen können alle möglichen Körperzellen entstehen. Der Hoffnung, dass jetzt Stammzellen zur Verfügung stehen, ohne dafür Embryonen zu töten, bekam allerdings einen Dämpfer: Um die Hautzellen umzuprogrammieren, mussten sich die Forscher bereits existenter embryonale Stammzellen bedienen. Zudem sind die neu entwickelten Zellen für einen medizinischen Einsatz völlig ungeeignet.
„Im Prinzip haben wir die Uhr erwachsener Zellen zurückgestellt und sie in den Zustand embryonaler Stammzellen versetzt“, erklärte der Harvard-Forscher Eggan. Um das zu erreichen, hatten er und seine Forscherkollegen eine Hautzelle mit einer embryonalen Stammzelle verschmolzen. Die daraus entstandene Hybridzellen, so berichtete Eggan, habe fast die gleichen Eigenschaften wie embryonale Stammzellen.
Die nachfolgenden Versuche zeigten, dass sich daraus auch verschiedene Zelltypen entwickeln konnten. Einen Nachteil aber haben die Zellen: Sie enthalten sowohl die 46 Chromosomen aus der Hautzelle als auch die 46 Chromosomen aus der embryonalen Stammzelle. Zwar sei die Erbinformation aus der embryonalen Stammzelle stillgelegt und nur die DNA aus der Hautzelle aktiv, berichtete Eggan. Doch für den Einsatz am Menschen sind diese Zellen aufgrund des doppelten Chromosomensatzes völlig ungeeignet. Denn niemand kann vorhersagen, wie sie sich im Körper verhalten werden. Zum Beispiel könnten sie sich zu Tumorzellen entwickeln.
Maßgeschneiderte embryonale Stammzellen gelten derzeit als der Gral der Biomediziner. Mit ihnen soll es einst möglich sein, Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder Diabetes zu heilen. Ein Vorteil ist, dass sie die genetische Information des zu behandelnden Patienten besitzen und so nicht vom Körper abgestoßen werden.
Derartige Zellen konnten bisher nur mit dem Verfahren hergestellt werden, mit der auch das schottische Klonschaf Dolly entstanden ist. Ian Willmut, der Schöpfer von Dolly, hatte seinerzeit die Erbinformation aus einer Körperzelle eines Schafs in eine zuvor von der DNA befreite Eizelle übertragen. Aus ihr entwickelte sich dann später das Klonschaf Dolly. Die so hergestellten Embryonen können aber auch genutzt werden, um Stammzellen zu gewinnen. Dazu werden aus dem frühen Embryo die noch voll entwicklungsfähigen Zellen gewonnen. Diese Verfahren beim Menschen anzuwenden ist umstritten und unter anderem in Deutschland verboten, weil der Embryo dabei vernichtet wird.
Ein Vorteil der jetzt von Eggan vorgestellten Methode ist, dass beim dem Versuch selbst keine Embryonen vernichtet werden. Für die als „Starterzellen“ genutzten embryonalen Stammzellen hatten die Forscher auf bereits existierende Zelllinien zurückgegriffen. Als nächsten Schritt will das Harvard-Team jetzt versuchen, ob es gelingt, die überschüssige DNA aus den Zellen wieder zu entfernen. Eggan hofft, dass diese „technische Hürde“ in vielleicht zehn Jahren überwunden sein wird.
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