■ Die US-amerikanische Juristin Catharine MacKinnon über Vergewaltigung als Menschenrechtsverletzung: „Einen Präzedenzfall schaffen“
Catharine MacKinnon, Jura- Professorin in Michigan, zählt zu den führenden feministischen Juristinnen und Theoretikerinnen in den USA. Neben ausführlichen Studien über sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz hat sie mit der Schriftstellerin Andrea Dworkin einen Gesetzentwurf verfaßt, der Pornographie als Verletzung der Grundrechte von Frauen definiert. Auf Anfrage kroatischer Frauenorganisationen hat sich MacKinnon bereit erklärt, im Falle eines Kriegsverbrecherprozesses muslimische und kroatische Frauen zu repräsentieren, die im Zuge der sog. „ethnischen Säuberungen“ von serbischen Soldaten oder Milizionären vergewaltigt wurden.
taz: Vorausgesetzt, es wird zu einem internationalen Kriegsverbrecherprozeß kommen. Wie und auf welcher rechtlichen Grundlage müßte die Anklage gegen Vergewaltiger präsentiert werden?
MacKinnon:In zwei Protokollen der Genfer Konvention werden als Kriegsverbrechen unter anderem Vergewaltigung, erzwungene Prostitution sowie die Verletzung der Würde der Frau definiert — modifiziert danach, ob diese Verbrechen in Bürgerkriegskonflikten oder Kriegen zwischen Nationalstaaten begangen werden. Entscheidender Punkt ist: Die Anklage muß in einer Weise präsentiert werden, die anerkennt, daß Vergewaltigung eine Verletzung der Menschenrechte von Frauen darstellt. Das gilt im übrigen nicht nur für Vergewaltigungen, die während eines erklärten oder offensichtlichen Krieges verübt werden, sondern auch für jene im ,unerklärten Krieg‘ gegen Frauen durch Männer, täglich und überall.
In Fall der Vergewaltigung durch Serben handelt es sich um eine besondere Situation: Hier werden Frauen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft systematisch vergewaltigt – als Teil einer Politik. Dadurch – und es ist bezeichnend, daß erst ein Völkermord geschehen muß, um Vergewaltigungen zu sehen – ist es leichter möglich, die Täter sowohl nach internationalem Recht als auch politisch zur Verantwortung zu ziehen. Die Frauen, die ich vertrete, legen ausdrücklich Wert darauf, daß hier ein Präzedenzfall geschaffen wird, der es in Zukunft ermöglicht, jede Vergewaltigung als Menschenrechtsverletzung zu definieren.
Gibt es irgendwelche Entscheidungen internationaler Gerichte oder Tribunale, auf die Sie sich stützen können?
In zwei Fällen sind Vergewaltigungen in internationalen Prozessen gegen Kriegsverbrecher erwähnt worden: Zum einen bei den Nürnberger Prozessen, wo sie aber meines Wissen nie in der Anklageschrift auftauchten. Die Funktion von Vergewaltigungen als Teil des von den Nazis durchgeführten Völkermordes ist nie benannt worden, obwohl vor allem die sowjetischen und französischen Ankläger einiges an Beweismaterial präsentierten. Vergewaltigung wurde statt dessen als ein Delikt außerhalb des Völkermords betrachtet – etwas, was Männer eben tun, wenn sie die Chance haben.
Zum anderen sind japanische Militärs nach dem Zweiten Weltkrieg u.a. wegen Vergewaltigungen angeklagt worden. In zwei Fällen wurden japanische Offiziere für Massenvergewaltigungen verurteilt, die Soldaten unter ihrem Kommando an chinesischen Frauen verübten. Diese Urteile beruhten auf der Genfer Konvention, die in diesem Punkt schlicht besagt, daß Vergewaltigung im Krieg international geächtet ist. Was fehlt, ist die juristische Anerkennung des Verbrechens: Daß eine Frau, die vergewaltigt wird, in ihren international verankerten Rechten zum Beispiel auf Sicherheit der Person oder Schutz vor Folter verletzt wird.
Wie sieht das Szenario für einen Kriegsverbrecherprozeß aus?
Punkt eins: Ausländische Regierungen müssen militärisch intervenieren, um den Völkermord zu stoppen. Ein Kriegsverbrecherprozeß könnte dann im Rahmen der UNO stattfinden, eines eigens etablierten Tribunals oder vor einem bereits existierenden Menschenrechtsgerichtshof. Im übrigen ist es jederzeit möglich, gegen Kriegsverbrecher etwa vor einem US-Gericht Anklage zu erheben. Entscheidend ist, erstmals ein internationales Tribunal zu schaffen, das den Opfern gegenüber rechenschaftspflichtig ist. Ich habe bisher keine Anhaltspunkte dafür gefunden, daß die Überlebenden des Holocaust in irgendeiner Weise konsultiert wurden, wie die Nürnberger Prozesse ablaufen sollen. Dieses Mal müssen die Überlebenden entscheiden können, wie die Beweismittel präsentiert werden, wie die Anklage aussehen soll. Sie müssen eine Stimme haben. Es ist höchste Zeit, Recht endlich aus Sicht der Opfer zu praktizieren. Und höchste Zeit zu begreifen, daß Menschenrechtsverletzungen Verbrechen sind, für die die Betroffenen die Regierungen zur Verantwortung ziehen können.
Wie sieht Ihre Arbeit aus?
Ich stehe in ständigem Kontakt mit den Frauen in Kroatien – vor allem der Organisation „Kareta“. Eine meiner Mitarbeiterinnen ist vor Ort, um Aussagen von vergewaltigten Frauen zusammenzutragen und sie daraufhin zu befragen, welche Art von juristischer Repräsentation sie wollen. Außerdem recherchiere ich in Archiven und Akten aus internationalen Kriegsverbrecherprozessen. Und ich stehe in Kontakt mit amnesty international und der Expertenkommission des UN-Sicherheitsrats, die Unterlagen über Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien zusammentragen soll.
Wird Pornographie in Ihrer Anklageschrift als Tatbestand auftauchen?
Zweifellos. Den Zusammenhang herzustellen, ist nicht sehr schwierig. Zum einen gibt es zunehmend Anhaltspunkte, daß mit den Vergewaltigungen Pornographie produziert wird...
Das heißt, die Vergewaltigungen werden gefilmt?
Ja. Frauen haben beschrieben, wie sie während ihrer Vergewaltigung gefilmt wurden. Außerdem ist das Gebiet, das die Serben heute als Jugoslawien bezeichnen, mit pornographischen Produkten überschwemmt worden. Ihre Soldaten sind also auf ihre Rolle als Täter bei diesen Massenvergewaltigungen eingestimmt worden.
Angenommen, auf der Ebene des internationalen Rechts läßt sich die Interpretation durchsetzen, daß Vergewaltigung als Menschenrechtsverletzung zu betrachten ist, welche Konsequenzen hätte das für die nationale Gesetzgebung und Rechtsprechung?
Länder, die internationale Konventionen unterzeichnet und ratifiziert haben, wären verpflichtet, das Problem der Vergewaltigung in ihrem eigenen Land anzugehen. Natürlich gibt es in zahlreichen Ländern Gesetze gegen Vergewaltigung. Aber nirgendwo geht ein Staat ernsthaft dagegen vor – schon gar nicht, indem er es als eine Verletzung der Menschenrechte der Frauen anerkennt. Nun gibt es bei internationalen Konventionen zwei Ansätze: Bei den einen verpflichtet sich der unterzeichnende Staat selbst zur Einhaltung und Achtung. Bei den anderen haben Individuen die Chance, vor Gericht zu gehen, wenn ihre Menschenrechte verletzt worden sind. Mir ist es enorm wichtig, daß die betroffenen Menschen selbst in die Lage versetzt werden, Klage gegen die Täter zu führen. In den USA gibt es Befürworter dieses Ansatzes, zum Beispiel Senator Joseph Biden (demokratischer Senator aus Delaware, Vorsitzender des Rechtsausschusses, Anm. d. Red.). In einem von ihm vorgeschlagenen Gesetzentwurf ist vorgesehen, Vergewaltigung als Verletzung der Bürgerrechte (civil rights) anzusehen. Das könnte richtungweisend für andere Länder sein.
Nun ist eher Skepsis angebracht, wenn es um die Frage geht, ob es zu einem Kriegsverbrecherprozeß kommt. Was könnten und sollten Frauenorganisationen und Menschenrechtsgruppen tun, um den öffentlichen Druck zu erhöhen – eine Art Wiederauflage des Russell-Tribunals zum Beispiel?
Deutsche Frauen versuchen das gerade durch ihre Anhörung in Zagreb. Erstes Prinzip muß sein: enge Kontakte, Absprachen und Rechenschaft gegenüber den Frauengruppen vor Ort. Damit meine ich ausdrücklich nicht Frauengruppen in Serbien. Ich bin mir sicher, es gibt serbische Feministinnen, die serbische Männer zur Rechenschaft ziehen wollen. Aber bislang sind mir keine bekannt. Statt dessen sind wir auf Leute getroffen, die als Kollaborateure agieren, indem sie zu vertuschen versuchen, worum es hier geht: um einen systematisch geplanten Völkermord einer Gruppe gegen eine andere. Deren Argumentation sieht etwa so aus: Vergewaltigungen passieren in einem Krieg auf allen Seiten – deshalb sollten alle Frauen zusammenkommen, um etwas dagegen zu unternehmen. Wahrscheinlich werden auch auf seiten der Kroaten und Muslime Verbrechen begangen, und die Täter müssen dafür zur Verantwortung gezogen werden. Fakt ist aber: Kroatien und Bosnien-Herzegowina verfolgen keine Völkermordpolitik, in der Massenvergewaltigungen als Instrument eingesetzt werden; Serbien tut es. Interview: Andrea Böhm
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