■ Die UNO als Verkörperung der neuen Interesselosigkeit: Bosnien ist nicht Somalia
Martialisch wird die Militärmaschinerie in Gang gesetzt. Bombenflugzeuge steigen auf, um einen „Warlord“ in Somalia zu „bestrafen“. Pakistanische Soldaten schießen in eine aufgebrachte Menge von Zivilisten, Frauen und Kinder bleiben tot oder verletzt am Boden liegen – geradezu atavistische Rache für den Mord an 23 UN-pakistanischen Soldaten kurze Zeit zuvor. Es sind grausame Bilder eines Kampfeinsatzes gegen die Zivilbevölkerung. Zwar haben diese Truppen vor einem halben Jahr Millionen von Menschen vor dem Hungertod bewahrt. Dieser Umstand rechtfertigt jedoch nicht, jetzt nach Kolonialherrenart vorzugehen. In Somalia, wo es darum geht, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen, wo es darum geht, für die Schaffung einer neuen Grundlage in Staat und Gesellschaft zu werben, sind diese Schüsse verantwortungslos und für die Befriedungsstrategie der in Clans zerfallenden Gesellschaft kontraproduktiv.
Auch in Deutschland darf nicht nur über das „Ob“ des Einsatzes der Bundeswehr diskutiert werden, sondern es muß das „Wie“ diskutiert werden. Erst dann kann letztlich auch Verantwortung für andere Strategien übernommen werden.
In Bosnien dagegen weigert sich die UNO, überhaupt Verantwortung zu übernehmen. Angesichts der jetzt praktizierten „Endlösung der Moslemfrage“ in Goražde und bald im gesamten „Restbosnien“ wird sogar gefordert, die UNO-Truppen vor Ort abzuziehen. Der Völkermord könnte dann unter dem völligen Ausschluß der Öffentlichkeit vor sich gehen. Die meisten Länder der „Weltgemeinschaft“ – welch euphemistischer Begriff – sind nicht bereit, Truppen zu senden. Und dabei würde es hier reichen, wenn sie, die Weltgemeinschaft, lediglich Zeichen setzen würde. Wenn hier Bombenflugzeuge aufstiegen, um die Aggressoren und Mörder ernsthaft zu warnen, könnte den Menschen in den Kesseln von Mostar, Sarajevo, Goražde und dem gesamten Restbosnien wenigstens eine Atempause verschafft werden.
Richtig, unterschiedliche Länder und unterschiedliche historische Situationen erfordern unterschiedliches Handeln. Somalia ist nicht Bosnien und Bosnien nicht Kambodscha und Kambodscha nicht der Kaukasus. Daß in den beiden erstgenannten Fällen jedoch jeweils die falsche Politik betrieben wird, kann nicht mehr nur mit mangelnder Analyse der Situation begriffen werden. Zwar läßt die Struktur der UNO nur schwerlich offene Diskussionen mit dem Ziel zu, deren Resultate auch in die Praxis umzusetzen. Zu vielfältig sind die Einflußmöglichkeiten der Großen. Dennoch erschien vor nicht allzu langer Zeit die Behauptung, die Vereinten Nationen erfüllten lediglich deren Interessen, zu billig zu geraten. In der Tat ist sie es auch jetzt noch. Denn die Vereinten Nationen sind zu Erfüllungsgehilfen der Interesselosigkeit der Großen herabgesunken, den Wertmaßstäben einer konsensualen internationalen Gemeinschaft Geltung zu verschaffen und die Rechte der Menschen auf Leben und Unversehrtheit weltweit durchzusetzen. Diese Interesselosigkeit ist es, die wieder einmal die an sich richtige Erkenntnis, das universelle Prinzip sei an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen historischen Situationen auf unterschiedliche Weise durchzusetzen, pervertiert. Diese Interesselosigkeit führte auch dazu, sowohl in Somalia als auch Bosnien falsche Wege zu gehen. Erich Rathfelder
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen