: Die Türkei vor dem Wahlboykott?
■ Verfassungsgericht erklärt den Modus der Kandidaten–Nominierung für verfassungswidrig / Özal will dennoch am Wahltermin 1.November festhalten / Opposition droht mit Boykott
Aus Istanbul H. Ö. Erzeren
Das türkische Verfassungsgericht hat mit knapper Mehrheit Teile jenes Wahlgesetzes für verfassungswidrig erklärt, aufgrund dessen am 1. November vorgezogene Parlamentsneuwahlen durchgeführt werden sollen. Das von der regierenden Mutterlandspartei Turgut Özals in Windeseile verabschiedete Gesetz sah die Nominierung der Parlamentskandidaten durch die Parteizentralen vor. Dadurch waren alle Oppositionsparteien in schwere innere Konflikte geraten, da den unteren Parteigliederungen jegliche Mitbestimmung bei der Nominierung versagt bleibt. Ungeachtet des Ur teils des Verfassungsgerichtes, das diese Methode der Kandidaten–Nominierung für verfassungswidrig erklärt, will Ministerpräsident Özal die Wahlen am 1. November durchführen. Auf einer Rede in Istanbul griff er die Opposition, die die Verfassungsklage angestrengt hatte, in scharfem Ton an. „Wir werden mit diesen byzantinischen Intrigen schon fertig. Die Wahlen werden am 1. November durchgeführt.“ Özal weigerte sich auch, das Parlament einzuberufen, um den für verfassungswidrig erklärten Wahlmodus zu ändern. Die Änderung des Wahlmodus hätte die Verschiebung des Wahltermins um ein paar Monate zur Folge. Unterdessen sind auf Einladung des Vorsitzenden der „Sozialdemokratischen Volkspartei“, Erdal Inönü, die Führer der Opposition - der konservative Süleyman Demirel und der sozialdemmokratische Bülent Ecevit - zusammengekommen. Alle drei Parteien kamen überein, die „Große Nationalversammlung“ einzuberufen, um das Wahlgesetz zu ändern. Sollte die Mutterlandspartei die Einberufung des Parlaments verhindern, planen sie den Wahl–Boykott. Ministerpräsident Özal bleibt unterdessen ungerührt. „Die bluffen. Wer will, kann sich an den Wahlen beteiligen, wer nicht will, bleibt halt fern“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen