Die Tränen der AutofahrerVon Ralf Sotscheck:
Die Zeiten, in denen sich betagte Autos in erbarmungswürdigem Zustand über Irlands Straßen schleppten, sind endgültig vorbei. Seit zwei Jahren gibt es auf der Grünen Insel einen TÜV. Anfangs mussten sich nur die ältesten Kisten untersuchen lassen, inzwischen sind sämtliche Fahrzeuge aus dem vorigen Jahrtausend fällig.
Als der TÜV am 1. Januar 2000 eingeführt wurde, verließen sich alle darauf, dass die Gutachter nur prüfen würden, ob alle vier Reifen vorhanden waren und wenigstens ein Licht noch funktionierte. Das war ein Irrtum. In den ersten Monaten fiel die Hälfte aller Autos durch.
Mein zehn Jahre altes Auto ist nun auch dran, Tag und Uhrzeit für die technische Untersuchung sind genau festgelegt. Man solle lieber zehn Minuten früher kommen, heißt es im Merkblatt, denn wer zu spät kommt, muss 21,84 Euro Strafe zahlen. Außerdem enthält das Blatt eine Reihe von Vorschriften für die korrekte Vorbereitung auf den TÜV. Die Radkappen müssen abmontiert werden, der Kofferraum und die Sitze müssen frei von irgendwelchen Gegenständen sein. Punkt sechs: „Die Sicherheitsgurte müssen sichtbar sein.“ Ja, gibt es denn auch unsichtbare?
Der letzte Punkt: „Das Kraftfahrzeug muss sauber sein.“ Das wird ein Problem, gewaschen wurde der Wagen das letzte Mal vor sechs Jahren vom Vorbesitzer. Ob er das übersteht? Ich fahre in letzter Sekunde zur Waschanlage, damit ich dem Inspektor ein frisch gewaschenes und geföntes Auto präsentieren kann. Auf dem Weg zum TÜV meide ich Pfützen und Baustellen, am liebsten würde ich einen Schirm über dem Wagen aufspannen. Das Prüfgelände liegt am Stadtrand, die Zufahrt ist eine Sandstraße, die aufgrund des mieserablen Wetters verschlammt ist. Jetzt bloß langsam fahren.
Ich habe den sicheren Parkplatz fast erreicht, als mir ein Toyota-Fahrer mit Karacho entgegenkommt, durch die Pfütze rast und die gesamte rechte Seite meines Kleinwagens einsaut. Okay, das gibt Minuspunkte. Wenigstens habe ich morgens noch geduscht, um einen ordentlichen Eindruck zu machen. Ich wische mit meinem Taschentuch den Außenspiegel ab, reiche dem Herrn über die begehrte Plakette den Schlüssel und füge mich in mein Schicksal. Im Warteraum steht ein Kaffeeautomat. Ein Whiskey wäre mir jetzt lieber. Durch die großen Fenster an der Seite des Raumes blickt man in die Halle, wo die Autos in die Mangel genommen werden. Ein Angestellter putzt die Fensterscheiben mit einem Ledertuch. „Ich muss ständig die Tränen der Autobesitzer abwischen“, sagt er. Eine junge Frau, die es mit ihrem Renault bereits zum vierten Mal versucht, findet das nicht lustig.
Der Gutachter testet die Bremsen an meinem Auto. Warum schlägt er die Hände über dem Kopf zusammen? Nach einer dreiviertel Stunde ruft er mich in einen Nebenraum. „Okay“, sage ich, „bringen sie es mir schonend bei.“ Kein Grund zur Beunruhigung, behauptet er, der Wagen sei in passablem Zustand. Und warum bin ich dann durchgefallen? „Sie sind nicht durchgefallen“, sagt er, „aber nächstes Mal waschen Sie den Wagen bitte vorher.“
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