Die Stromkonzerne können nicht für jeden Stromausfall haften : Fantasien einer Vollkasko-Gesellschaft
Natürlich hat die Forderung ihren Reiz, denn sie hat alles, was zu einem guten populistischen Drehbuch dazugehört: Da sind die großen Stromkonzerne, die Milliardengewinne machen. Dass sie an dem aktuellen Stromausfall zumindest mit schuld sein müssen, nimmt man mal an. Auf der anderen Seite stehen die armen kleinen Stromkunden, die nach dem Ausfall nicht einmal mehr eine warme Mahlzeit bekamen. Was also liegt da näher als die Forderung, die Konzerne müssten für die Unannehmlichkeiten doch bitte schön aufkommen?
Gleichwohl ist die Forderung absurd. Sie kann alleine den Hirnen einer Vollkasko-Gesellschaft entspringen, wo immer andere jedes letzte Risiko doch bitte tragen sollen. In Wahrheit ist das, was gerade in Norddeutschland passiert, schlicht ein allgemeines Lebensrisiko. Und da in Haushalten, anders als im Gewerbe, die materiellen Auswirkungen eines Stromausfalls gering sind, wird man dieses Restrisiko wohl akzeptieren können.
Das gilt besonders angesichts der Tatsache, dass die Versorgungssicherheit in Deutschland besser ist als in jedem anderen Land Europas. Die Stromversorgung erreichte zuletzt eine Zuverlässigkeit von 99,996 Prozent – das entspricht einem Stromausfall von 22,9 Minuten pro Haushalt im Jahr. Zudem bekommt schon heute jeder Stromkunde, dem die 99,996 Prozent nicht ausreichen, auch 100 Prozent garantiert. Wer seinen Stromversorger danach fragt, erhält ein entsprechendes Angebot. Dass das natürlich nicht zu den üblichen Haushaltstarifen geht, ist aber auch klar.
Also: ein bisschen weniger Aufgeregtheit, bitte. Denn es geht auch anders. Während die einen nach staatlichen Stromversorgungsgarantien lechzen und gar nach Schadensersatz von den Stromgiganten schreien, haben die cleveren unter den stromlosen Bürgern längst ihren Campingkocher aus dem Keller geholt – wenn sie denn nicht ohnehin längst mit Gas kochen. So ist die Debatte typisch für das Denken im Land: Immer erst einmal nach jemandem suchen, den man haftbar machen kann. Denn jedes Lebensrisiko stört ja nur die deutsche Gemütlichkeit. BERNWARD JANZING