■ Die Stasi-Debatte an der FU: Worum geht es?
Nirgends zeigt sich das Dilemma der Stasi-Debatte so deutlich wie an der Kontroverse um den „richtigen“ Umgang mit West-IMs an der FU. Verfehlungen, Schuld, „Verrat“ werden personalisiert, weil es keine Bewertungsmaßstäbe gibt, mit denen eine solche Debatte verallgemeinert, das heißt tatsächlich vergesellschaftet werden könnte. Statt diskutiert wird Aktivität vorgegauckt; geurteilt wird dann von den Medien und den Personalabteilungen. Ob im Namen der Betroffenen oder nicht, welche Rolle spielt das noch? So „bewältigt“ man Vergangenheit, aufgearbeitet wird sie so nicht.
Auch an der FU hat man offenbar kein Interesse an einer ehrlichen Auseinandersetzung. Dabei gilt für die universitäre Linke Westberlins mehr noch als für die ehemalige DDR: Wer über die Stasi redet, darf über die Partei nicht schweigen. Welchen Einfluß oder Zugang zu Forschungsprojekten die Mielke-Schnüffler an der FU auch immer hatten, den politischen Alltag an den Fachbereichen bestimmten zu einem großen Teil die SEW-Hochschulgruppen, die Aktionsgemeinschaft Demokraten und Sozialisten (ADS), aber auch die Stamokaps der Juso-Hochschulgruppen. An ihnen galt es sich abzuarbeiten, waren sie doch überall präsent: in den Gremien, auf Vollversammlungen, in den Fachschaftsinis, in der Kneipe. Auch wenn mittlerweile erwiesen ist, daß ein Gutteil der hauptamtlichen DDR-Fans nicht nur die Ideologie aus dem Osten bezog, sondern auch das nötige Kleingeld, eine Bedrohung für die „demokratische Grundordnung“ ging von den „gewerkschaftlich Orientierten“, wie sie sich selbst nannten, kaum aus. Im Gegenteil. Ihre Forderungen („Bildung statt Raketen“, „Gegen die Überfüllung der Seminare“) waren im Kern sozialdemokratisch. Dabeisein galt ihnen, damals im übrigen wie heute, mehr als originelle, radikale Politik.
Gäbe es tatsächlich etwas zu überprüfen, dann die Frage, inwieweit die ADS/SEW/JUSO-Kader nicht der FDGO, sondern einer kritischen, undogmatischen Linken geschadet haben. Schließlich waren und sind autoritäre, taktische und zwangskollektivierte Politikvorstellungen nicht nur der Fähigkeit zur Selbstkritik abträglich, sondern auch einer radikalen Kritik der Verhältnisse. Die Zurichtung der Lehre auf den „heimlichen Lehrplan“, das heißt die Selbstbewertung nach verordneten Leistungskategorien, stand deshalb (hüben wie drüben) ebensowenig zur Debatte wie die Problematisierung der Forschungsinhalte.
Wenn derzeit schon so viel und meistens unhistorisch verglichen wird, sollte man sich einmal auch die Mühe machen, die Schnittmenge einer autoritären Grenzziehung gegenüber selbstbestimmter Politik in Ost wie West zu diskutieren. Statt dessen freilich fabuliert man im Dahlemer Elfenbeinturm lieber über belanglose Bedrohungsszenarien. Aber eine Hochschule, deren gesellschaftliche Bedeutung mittlerweile gegen Null geht, braucht eben Themen, mit denen sie sich wieder ins Gespräch bringt. Uwe Rada
Siehe Bericht Seite 23
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen