Die Spreu halber Leben : Der beste Freund
Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, als ich ihn zufällig auf dem Bauhausparkplatz treffe. In Berlin muss man sich nur auf den Bauhausparkplatz stellen, um jedem anderen Berliner eines Tages sicher zu begegnen. Wir unterhalten uns. Zum Glück weiß er nicht, wie lang ich hier gewartet habe, doch man sieht ihm an, dass er eigentlich gehofft hat, mich nie wiederzusehen.
Vielleicht interpretiere ich seine Art auch falsch; wahrscheinlich ist es ihm schlicht nur vollkommen egal. Einiges war schon vor einer ganzen Weile schiefgelaufen. Größtenteils durch meine Schuld, zumindest nach dem selbstgerechten Maßstab einer eher kirchentypischen Unfehlbarkeitsannahme. Die mir andererseits gerade dieser Tage, da prügelnde Kirchenmänner lügen, dass sich die Balken vom Kreuz Christi biegen, nur um ihre Privilegien zu behalten, noch alberner vorkommt als ohnehin.
Die Spreu halber Leben wird innerhalb von Minuten auf den Parkplatz geschüttet, gesiebt und zum Trocknen ausgebreitet: Viel ist passiert, aber nichts Wichtiges und der Rest, der Weizen, geht dich nichts mehr an. Meine Haltung ist paranoid defensiv. Eben so, als hätte ich noch was zu verlieren, das ich längst verloren habe. Die Uhr tickt. Irgendwo miaut eine Katze. Wir können dann ja mal wieder irgendwann irgendwo irgendwas, murmle ich und frage mich im selben Moment, wozu. Ist das schon der Phantomschmerz, der den Geist vernebelt? Ja, murmelt der beste Freund zurück, irgendwie irgendbier irgendspäter. Du mich auch und tschüss.
Der Bauhausparkplatz gehört wieder mir. Ich spüre ein vertrautes Gefühl: Ein bisschen erinnert mich meine krampfhafte Verweigerung einer zwar schmerzvollen, aber objektiv lächerlich einfachen Erkenntnis an die Situation einer zurückgewiesenen Liebe. Aber zum Glück nur ein ganz kleines bisschen.
ULI HANNEMANN