Die Sonstigen: ÖDP: Orange ohne Revolution
Wahl Die ÖDP will ein Prozent der Stimmen holen. Doch zweieinhalb Wochen vor der Wahl haben es die Öko-Demokraten nicht mal geschafft, alle Wahlplakate aufzuhängen
So weit das Auge reicht, hängen Wahlplakate in bunten Farben, die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) ist aber noch nicht darunter. Bei den Wahlen am 18. September treten die Öko-Demokraten für die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Steglitz-Zehlendorf und für das Abgeordnetenhaus an. Spitzenkandidat der Partei ist der 39-jährige Christian Schantz aus Friedrichshain-Kreuzberg.
Schantz habe sich "irgendwo engagieren" wollen, weil seiner Ansicht nach die Wurzeln gesellschaftlicher Probleme sonst nirgends angesprochen wurden. Auf die ÖDP sei er eher zufällig gestoßen. Nur den Namen der Partei habe der gebürtige Bayer gekannt - zwei Drittel der bundesweit 6.500 Mitglieder kommen aus Bayern. Dort hat die ÖDP rund 400 kommunale Mandate inne und kann einen Erfolg vorweisen: Das Volksbegehren "Für echten Nichtraucherschutz" wurde maßgeblich von der ÖDP angestoßen.
In Berlin ist die Lage eine andere. Die Partei hat in der Hauptstadt lediglich 80 Mitglieder, nur 10 von ihnen seien aktiv, sagt Schantz. Trotz der wenigen Mitstreiter hat es die Partei aber geschafft, mit dem Klemmbrett auf der Straße die für die Zulassung zur Wahl notwendigen 2.200 Unterschriften zu sammeln.
Um sich näher über die ÖDP zu informieren, habe Spitzenkandidat Schantz vor zweieinhalb Jahren das Wahlprogramm der Partei gelesen und sich darin "mit fast allen Inhalten identifizieren können". Dann sei er beigetreten. Die Partei übt, meint Schantz, eine grundsätzliche Wachstumskritik: Danach ist das Gesellschaftssystem einzig für die Wirtschaft und auf stetiges Wachstum angelegt. Das könne auf Dauer aber nicht aufrecht erhalten werden, da Rohstoffe wie Erdöl und Gas endlich seien, damit knapper würden und die Weltbevölkerung zudem kontinuierlich ansteige. "Ich bin überzeugt davon, dass die Fokussierung auf Wachstum in der Zukunft zu großen Problemen führen wird", sagt Schantz. Der Kandidat sieht in der ÖDP ein anderes "gesellschaftliches Leitbild", basierend auf sozialen und ökologischen Positionen. Die Partei nimmt keine Spenden von Konzernen oder Firmen an.
In ihrem Wahlprogramm plädiert die ÖDP gegen die Verlängerung der A 100 und für den Ausbau von Radwegen, Tempo 30 für die ganze Stadt lehnt die Partei dagegen ab. Die Partei fordert eine Ausschreibung der S-Bahn. Besonders wichtig sei der ÖDP die komplette Erhaltung der öffentlichen Versorgung, sagt Schantz: Wasser, Stromnetze, Schulen und Krankenhäuser gehörten nicht in private Hände.
Der hauptberufliche Musiker Schantz würde "sehr gerne" ins Abgeordnetenhaus gewählt werden, ist aber Realist: "Es wäre schön, wenn wir mehr Stimmen als bei der letzten Wahl bekämen." Damals hatten 986 Wähler ihr Kreuz bei der ÖDP gemacht - 0,1 Prozent der Stimmen. "Aber auch Kleinvieh macht Mist", kommentiert der zweifache Familienvater seine Erwartungen: "Wenn ich kein Idealist wär, würd ich das Ganze auch nicht machen!"
Die ÖDP verstehe sich als "konservative Abspaltung" der Unionsparteien und hoffe daher auch, dort Wähler abzugreifen, so Schantz. Die Partei wurde 1982 von Herbert Gruhl, einem ehemaligen Unionspolitiker, gegründet. Dieser hatte zuvor die Grüne Aktion Zukunft (GAZ) ins Leben gerufen und versucht, diese Gruppe mit den Grünen zusammenzuführen. Schließlich gründete er die Partei, die laut Schantz für grundlegende Veränderungen stehe. Die Grünen hingegen würden das gegenwärtige kapitalistische System längst akzeptieren und durch den sogenannten Green New Deal lediglich ökologisch umbauen wollen, so Schantz.
Der Kandidat für das Abgeordnetenhaus beklagt, dass die ÖDP Berlin für einen richtigen Wahlkampf mit Infoständen und Luftballons "fast kein Geld" habe und deshalb nach wie vor "sehr unbekannt" sei. Damit in den Wochen vor der Wahl dann zumindest einige hundert orangefarbene Plakate mit den Kandidaten oder einem Spruch von Mahatma Gandhi an Straßenlaternen hängen, hat die ÖDP alte Wahlplakate aus Baden-Württemberg zum Überkleben besorgt, die nun aufgehängt werden sollen.
"Wenn wir den Prozentsatz erreichen, bei dem man als Partei staatliche Mittel bekommt, wäre das ein Erfolg", sagt Schantz. Dann könnten zumindest die Ausgaben für den Wahlkampf refinanziert werden. Die magische Grenze dafür liegt bei einem Prozent - und das wäre wahrlich ein Sprung für die Partei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe