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■ „Die Simpsons“, die Wurzel allen ÜbelsZersetzung aller positiven Werte

Berlin (taz) – Als vor vier Jahren das ZDF mit der Ausstrahlung der US-Zeichentrickserie „Die Simpsons“ begann, eilte ihr ein legendärer Ruf voraus, denn die Serie sollte sich durch einen geradezu anarchistischen Humor auszeichnen und mit dem amerikanischen Traum gründlich aufräumen. Als sie dann kamen, waren die Erwartungen entsprechend hoch. Tatsächlich steigerten die Simpsons sich von Folge zu Folge: Waren sie anfangs noch konventionelle Massenware, zeichneten sie sich mehr und mehr durch sarkastische Kritik am American way of life aus.

Obwohl im Kinderprogramm plaziert, begeisterten sich zunehmend Erwachsene für die Alltagsabenteuer des AKW-Angestellten Homer Simpson, seiner Gattin Marge und ihrer Zöglinge Bart, Lisa und Maggie. Atomindustrie, gottesfürchtige Nachbarn, TV-Gewalt, Kunstzensur, wahlkämpfende Politiker – kein Thema, das nicht auf grellbunte Weise der Lächerlichkeit preisgegeben wurde.

Jedem, der die Simpsons nicht nur gelegentlich sah, war aber auch klar, daß die Sendung sowohl von den Themen als auch von den anspruchsvollen Stories und Dialogen her nicht unbedingt eine Kindersendung ist. Um so verwunderlicher, daß nicht schon bald, wie einst bei „Tom & Jerry“, die Verbannung der Serie ins Abendprogramm gefordert wurde. Doch halt, natürlich gibt es einen unermüdlichen Jugendschützer, einen unerbittlichen Verteidiger abendländischer Kultur: den Augsburger Professor Werner Glogauer, der schon mit Veröffentlichungen zu schädlichen Auswirkungen unchristlicher Rockmusik für Heiterkeit sorgte und sich als selbsternannter Fachmann für Medienforschung mit abstrusen Rezeptionstheorien einen legendären Ruf erschrieb.

In seinem 1993 erschienenen Buch „Die neuen Medien verändern die Kindheit“ findet sich im Anhang eine vierseitige Abhandlung über die Simpsons, mit der sich Glogauer selbst übertrifft. So schreibt er, die Sendung gebe „nicht nur das gesamte gesellschaftliche Leben der Lächerlichkeit preis“, sondern ziele sogar „auf systematische Zersetzung aller positiven zwischenmenschlichen Werte“. Statt dessen setze Simpsons-Erfinder Matt Groening, der unerhörterweise in seinem Studiengang „ohne Prüfungen und Zensuren einen Abschluß erreichen konnte“, auf deren Negation. „Der Umgang zwischen den Ehepartnern, unter den Kindern und zwischen Eltern und Kindern ist durchgängig von Herabsetzungen, Beleidigungen, Gefühlsroheit, Mißachtung und Gewalttätigkeiten gekennzeichnet“, analysiert Glogauer. Auch die Darstellung von Barts Verhalten in der Schule stößt dem konservativen Prof sauer auf: „Die Serie ist geradezu eine Anleitung zu gestörter Beziehungsaufnahme und zu gewaltvollem Verhalten; Vereinzelung ist das Resultat.“ Die Ehre der Atomindustrie liegt Glogauer ebenfalls am Herzen: Ihm paßt nicht, daß Homers Chef als „zynisch, gewissenlos und hinterhältig“ dargestellt wird – „ein Mensch, der mit allen Mitteln seine Macht erhalten will und nur auf seinen Profit bedacht ist“. Zum Schluß der Polemik dann Glogauers finaler Rettungsschuß: „Groening diffamiert die westliche Zivilisation. Die Eßkultur wird bei ihm zur ,Freßkultur‘; die Religion muß herhalten für ,Witze‘ beim Tischgebet; Bildung wird abgewertet, der Opernsänger als ,Dickarsch‘ bezeichnet.“

Wer Glogauers Kritik nachvollziehen will, sollte sich die neuen Folgen der Simpsons nicht entgehen lassen, die Pro 7 ab 7. April donnerstags um Mitternacht zeigt. Ja, richtig gelesen. Wie in den USA laufen die neuen Folgen im Abendprogramm, da sie als für Kinder ungeeignet erachtet werden... Joachim Hiller

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