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■ Die Siemens-Boykotteure schaden vor allem sich selberKauft kein Atomkraftwerk!

Raucht keine Marlboro! Schminkt euch nicht mit Estée-Lauder-Kosmetik! Tragt keinen Pelz! – Der erfolgreiche Verbraucherboykott lebt von der klaren Anweisung, welche Produkte aus moralischen Gründen zum Ladenhüter werden müssen, um ihren Herstellern einen geldwerten Anreiz zu politisch korrektem Verhalten zu bieten: Philip Morris soll einem schwulenhassenden Senator die Wahlkampfhilfe entziehen, Estée Lauder sich in den USA nicht mehr für strengere Waffengesetze einsetzen, die Pelzproduzenten sollen aufhören, Tiere zu quälen. Jetzt also will ein wackeres Bündnis wohlmeinender Menschen den Siemens-Konzern zwingen, seine Atomabteilungen abzuwickeln: „Kauft kein Atomkraftwerk!“ wäre der knackige Slogan gewesen, wenn er sich nicht von allein ad absurdum geführt hätte.

Weil die Initiatoren sich von dem vermeintlich schweren Geschütz nicht trennen mochten, muß es nun den Elektro-Gemischtwarenladen Siemens als Ganzes treffen – und gerade darum am Ziel vorbeischießen. Es gibt wohl kaum ein Firmengeflecht, das so sehr wie Siemens Gutes und Böses in seiner Produktpalette vereinigt. Der Konzern baut Atomkraftwerke, aber auch die umweltfreundlichsten Gas- und Dampfturbinenkraftwerke der Welt sowie Solarzellen. Und anders als bei Bösewichtern wie dem früheren Milchpulversünder Nestlé fällt es schwer, politisch korrekte Alternativanbieter ausfindig zu machen. Auch die Siemens-Konkurrenten sind Konglomerate, mit ebenfalls vielen bösen Produkten. Wo wäre, unter ethischen Gesichtspunkten, die Rüstungsschmiede AEG besser als Siemens?

Und wie konsequent, liebe Initiative, müssen wir denn sein in unserem Boykottverhalten? Dürfen wir noch Bahn fahren? Schließlich wird sie zum großen Teil von Siemens-Technik gesteuert. Oder telefonieren? Findet ihr es eigentlich richtig, eure Aufrufe per Fax zu schicken? Wo bleibt das vollständige Siemens- Produktverzeichnis mit den politisch korrekten Einkaufs- und Verhaltensalternativen?

Bei Estée Lauder übrigens ging der Boykott der Waffenliebhaber voll nach hinten los, weil der Kosmetikkonzern Imagepunkte bei den gebildeten Aufgeklärten sammeln konnte. Die Siemens-Manager haben nun ebenfalls einen hervorragenden Anlaß, gegen den Boykott ihre ethisch einwandfreien Produkte ins Gespräch und jenseits von teuren Imagekampagnen ganz sachlich in die Presse zu bringen. Wer nicht sowieso überzeugt ist, daß alle Multis mies sind, wird vermutlich genau das verstehen, was die Boykotteure auf keinen Fall wollen können: Atomkraftwerke sind nur ein kleines Teilchen in der sonst heilen Siemensschen Warenwelt. Donata Riedel

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