■ Die Schweizer votieren eindeutig gegen verschärften Genschutz: Die Angst der Industrie vor dem Volk
Mit einer so eindeutigen Ablehnung der Schweizer Genschutzinitiative hatte niemand gerechnet. Eine satte Zweidrittelmehrheit der Eidgenossen hatte sich am Wochende gegen Forschungs- und Anwendungsverbote in der Gentechnologie ausgesprochen. Die Initiatoren der Volksabstimmung, die bis zum Schluß gehofft hatten, die Abstimmung – wenn auch knapp – zu gewinnen, müssen zur Kenntnis nehmen, daß die Gentech-Industrie derzeit auf der Siegerstraße ist. Alle 26 Schweizer Kantone haben sich mehrheitlich gegen Verbote für Freisetzungen, Gentech-Patente und der Herstellung von transgenen Versuchstieren ausgesprochen. Dies ist insofern überraschend, da erwartet wurde, daß zumindest in der deutschsprachigen Schweiz die Gentech-Kritiker einen größeren Rückhalt in der Bevölkerung haben.
Die Frage bleibt offen, ob letztendlich die Drohung der Gentechforscher und der Life-Science-Industrie, ins Ausland abzuwandern, den Ausschlag für das Abstimmungsergebnis gegeben hat. Oder vielleicht doch das Ungleichgewicht bei den Finanzen? Während die Gentech-Lobby mehr als 30 Millionen Franken für ihre Kampagne gegen die Initiative eigesetzt haben soll, mußten die Kritiker mit etwa einem Zehntel davon auskommen.
Ein Vergleich mit dem Scheitern der bayerischen Volksabstimmung über eine Kennzeichnung von gentechnikfreien Nahrungsmitteln drängt sich auf. Die anfänglich siegessicheren Initiatoren der Volksabstimmung scheiterten am Interesse der Bevölkerung. Warum, so muß gefragt werden, hat die Gentech-Industrie so eine Angst vor den Wahlfreiheit der Konsumenten und verhinderte bisher eine eindeutige Kennzeichnung? Die beiden Abstimmungen zeigen, daß die fehlende Akzeptanz in der Bevölkerung nicht die Ursache dafür sein kann.
Andererseits kann man nur hoffen, daß das Abstimmungsergebnis nicht als Freifahrtschein für die Gentech-Industrie und als Signal für den weiteren Abbau von Schutzmaßnahmen angesehen wird. Die Risiken der Gentechnologie können nicht mit einer Mehrheitsentscheidung beseitigt werden. Auch ist der Streit um die Gentechnologie lange noch nicht ad acta gelegt. Mißtrauen gegenüber dieser neuen Technologie ist bei den Bürgern zweifellos noch vorhanden. Schon der kleinste Zwischenfall, vielleicht eine ausgewilderte Gentech-Pflanze oder eine durch Gentechniker verursachte Ausbreitung einer Antibiotika-Resistenz, könnte die Stimmung wieder ändern. Wolfgang Löhr
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