■ Die Schweiz stimmt am Sonntag über das Volksbegehren zum "Schutz von Leben und Umwelt vor Genmanipulationen" ab. Der Ausgang ist offen, das Ergebnis hat Signalwirkung: Gebot oder Verbot?
Die Schweiz stimmt am Sonntag über das Volksbegehren zum „Schutz von Leben und Umwelt vor Genmanipulationen“ ab. Der Ausgang ist offen, das Ergebnis hat Signalwirkung
Gebot oder Verbot?
Der Forschungsstandort Schweiz steht auf dem Spiel“, warnen Wissenschaftler, Industrievertreter und Politiker. Eine von der Wirtschaft in Auftrag gegebene Studie spricht sogar von 42.000 qualifizierten Arbeitsplätzen, die gefährdet sind, wenn morgen die 4,6 Millionen stimmberechtigten Schweizer Bürger das von Umwelt-, Tierschutz- und Konsumentengruppen initiierte Volksbegehren zum „Schutz von Leben und Umwelt vor Genmanipulation“ annehmen würden. In der Schweiz wird als einzigem Land der Welt darüber abgestimmt, ob den Genmanipulationen Grenzen gesetzt werden sollen.
Die schon Anfang der 90er Jahre eingebrachte „Genschutz-Initiative“ sieht unter anderem drei konkrete Anwendungsverbote für die Gen-Technik vor: Genmanipulierte Tiere sollen „nicht mehr hergestellt, erworben und weitergegeben“ werden dürfen. Für Freisetzungen von genveränderten Organismen soll ein absolutes Verbot gelten. Und die Patentierung von Tieren und Pflanzen sowie deren Bestandteilen soll verfassungsrechtlich untersagt werden.
Bei kaum einer der zahlreichen Volksbefragungen in der Schweiz gingen die Emotionen so hoch wie bei der Genschutz-Initiative. Seit Monaten schon streiten die Kontrahenten über das Für und Wider von Verboten in Fernsehsendungen, auf Plakaten und ganzen Artikelserien in den Tageszeitungen. In Anzeigenkampagnen der Chemieindustrie wird mit einer krebskranken Frau für die Gentechnologie und gegen das Volksbegehren geworben. Auf der anderen Seite wird mit mißhandelten Versuchstieren Stimmung für die Initiative gemacht.
In der Öffentlichkeit tritt vor allem die 1991 gegründete und von den Pharmafirmen Novartis und Hoffmann-La-Roche finanzierte Stiftung „Gen Suisse“ mit einem klaren Nein gegen das Volksbegehren auf. Rund 35 Millionen Franken soll die Gen-Tech-Lobby ausgegeben haben, um die Schweizer Bürger auf ihre Seite zu ziehen, berichtete das Schweizer Magazin Facts. Die Industrieverbände wollen diese Zahl nicht bestätigen. Weit offener gehen die Initiatoren der Volksabstimmung mit ihren Finanzen um: Auf Anfrage hieß es, das Budget der nationalen Genschutz-Kampagne belaufe sich auf 3,5 Millionen Franken.
Unterstützt wird die Genschutz- Initiative von etwa 70 verschiedenen Organisationen. Federführend ist die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft Gentechnologie (SAG), die das Volksbegehren eingereicht hat. Die SAG ist ein Zusammenschluß von Umwelt-, Bauern- und Tierschutzgruppen. Mitglieder sind unter anderem der World Wide Fund for Nature (WWF), Greenpeace, die Grüne Partei Schweiz und die Gewerkschaft Bau und Industrie (GBI). Nicht alle SAG-Mitglieder stehen hinter der Genschutz-Initiative. So hat die GBI sich gegen das Volksbegehren ausgesprochen.
Zerstritten ist mittlerweile auch die Schweizer Sozialdemokratische Partei (PS). Offiziell spricht die SP sich für die Annahme der Genschutz-Initiative aus. Doch nicht alle Sozialdemokraten nehmen die Empfehlung der Partei widerspruchslos hin. Der Baseler SP- Ständerat Gian-Reto Plattner hatte mit einer Gegenkampagne für Unruhe in der Partei gesorgt. Plattner hatte mit einem Unterstützungsbrief der deutschen Sozialdemokratischen Gruppe im Europaparlament versucht, den Parteibeschluß zu kippen. Dieses Papier, so Plattner, zeige, daß sich das Ja der Schweizer Sozialdemokraten zur Initiative nicht auf einen europäischen links-grünen Konsens stützen könne. Vielmehr befänden sie die Parteien „auf unserem Kontinent im Abseits“.
Daniel Ammann, Geschäftsführer bei der SAG, wagt keine Prognose: „Wie die Abstimmung morgen ausgehen wird, kann man im Moment nicht sagen.“ Eine TV- Umfrage vor drei Wochen habe ergeben, daß sich 38 Prozent der Schweizer gegen die Initiative aussprechen, 36 Prozent waren für Forschungseinschränkungen. „Ausschlaggebend wird letztendlich die große Gruppe der Unentschlossenen sein“, meint Ammann.
Sorgen machen dem Geschäftsführer auch die gewaltigen kulturellen Unterschiede zwischen der romanisch und der schwyzerdütsch sprechenden Schweiz. Schon häufig seien Volksinitiativen an dem unterschiedlichen Abstimmungsverhalten auf den beiden Seiten des „Röstigrabens“ gescheitert. Um das Volksbegehren zu gewinnen, reiche es nicht aus, die Mehrheit der Schweizer hinter sich zu haben. „Wir brauchen ja auch das sogenannte Ständemehr“, erklärt Ammann, „wir müssen auch in mindestens der Hälfte der 26 Kantone gewinnen.“ Bekannt sei auch, fügt er hinzu, daß in der französischen Schweiz die Gen-Technik eigentlich kein Thema sei. Wolfgang Löhr
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