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Die Schmerzen der Kontinuität

Frauenbewegung – Frauenpolitik in Berlin nach 1945 / Die bruchlose Anknüpfung an die Bewegung von vor 1933 war nach Kriegsende nicht möglich  ■ Von Irene Stoehr

„Wilmersdorfer Kaffeeklatsch“ nannte die kommunistische Frauenzeitung Für Dich im Oktober 1946 abwertend die erste Frauenorganisation in den Westzonen Berlins, die sich ausdrücklich als Fortsetzung der organisierten, „bürgerlichen“ Frauenbewegung vor 1933 verstand.

Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, am 25. Juli 1945, hatten sich im Berliner Bezirk Wilmersdorf 33 Frauen getroffen, um die Gründung eines „Deutschen Frauenbundes“ vorzubereiten. Viele von ihnen waren vor 1933 im Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) aktiv gewesen, dem Dachverband der bürgerlichen Frauenbewegung seit 1894. Die letzte Vorsitzende, Dr. Agnes von Zahn- Harnack, hatte den BDF im Mai 1933 aufgelöst, um den Anschluß an die NS-Frauenschaft nicht vollziehen zu müssen. Sie war es auch, die 1945 als erste die Initiative zur Wiederbelebung der Frauenbewegung in Deutschland ergriff.

Ungewöhnlich war nicht, daß sich Frauen ohne Männer organisieren wollten, sondern daß sie etwas anderes vorhatten, als sich um die Organisation des Überlebens zu kümmern. Trotz der Sorge um die nackte Existenz und trotz des großen Frauenüberschusses (in Berlin 70 Prozent) hatte der Trümmersommer 1945 das Geschlecht nicht aus dem politischen Bewußtsein verdrängt. Im Gegenteil: Zur gleichen Zeit wurden in allen vier Besatzungszonen Deutschlands kommunale Frauenausschüsse gebildet, um die Frauen für den Wiederaufbau zu mobilisieren. So entstand im Sommer 1945 eine eigentümliche „Frauenbewegung“: Die Interessen von „unten“ und von „oben“ kamen zusammen. Anordnungen der kommunalen Verwaltungen trafen oft schon auf gleichgerichtete Fraueninitiativen, die allerdings meist in den politischen Parteien – vor allem in der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD) – entstanden waren.

Da die westlichen Alliierten erst im Juli 1945 nach Berlin kamen, waren die kommunalen Einrichtungen bereits durch die Rote Armee installiert und die Frauenausschüsse deshalb ohnehin von der KPD dominiert.

Dieses Faktum und ihre Einbindung in die Verwaltung waren die Hauptgründe dafür, daß die meisten Frauenbund-Gründerinnen dort nicht mitarbeiteten. Sie waren politisch liberal eingestellt, hatten aber schon vor 1933 die parteipolitische Neutralität der Frauenbewegung verteidigt. Gegenüber dem Zentralen Frauenausschuß, der nach Einschätzung Agnes von Zahn-Harnacks im Januar 1946 „den Charakter einer behördlichen Institution trägt“, grenzte sich nun der Frauenbund als „unabhängige demokratische Institution“ ab. Er sah sich darüber hinaus durch die Existenz der Frauenausschüsse gezwungen, auch seine ursprüngliche Zielsetzung in unterscheidender Absicht zu verändern.

Beabsichtigte der Frauenbund bei seiner Gründung im Juli 1945, „sofort in die praktische Arbeit hineinzusteigen“, so wollte er im Januar 1946 ausdrücklich „nicht caritative oder andere praktische Aufgaben der zentralen Frauenausschüsse übernehmen“. Statt dessen wollte er sich „der grundsätzlichen gedanklichen Durcharbeitung der Frauenfragen“ widmen und „internationale Beziehungen pflegen“.

Daraus folgerte die kommunistische Frauenzeitung Für Dich: In diesem Frauenbund „wird also nicht produktiv gearbeitet“. Die Wochenzeitung für Frauen der Sowjetzone schrieb der Bundesvorsitzenden dazu einen faustischen Vers ins Poesiealbum: „Wer sich behaglich mitzuteilen weiß, den wird des Volkes Laune nicht erbittern.“

Aber nur lächerlich fanden die kommunistischen Frauen die „bürgerliche“ Aktivität dann auch wieder nicht. Für Dich warnte im gleichen Artikel vor einer „Zersplitterung der deutschen Fraueneinheit“ und sah sich veranlaßt, den Zentralen Frauenausschuß „mit seinen über 6.000 kommunalen Organisationen“ zur „wirklich berufenen, einzigen Interessenvertretung und Arbeitsorganisation der deutschen Frau“ zu erklären. Das Phantom der „Einheit“, das in der unmittelbaren Nachkriegszeit viele politische Initiativen beschworen, war nicht nur eine verständliche Reaktion auf den Krieg, sondern auch schon der Schatten, den die Ost-West-Spaltung vorauswarf.

Auch die westlichen Besatzungsmächte begrüßten die Idee einer Wiederbelebung der alten Frauenbewegung nicht gerade enthusiastisch. Es stellte sich bald heraus, daß eine auf einen möglichen deutschen Staat bezogene zentrale Organisation von den Alliierten nicht erlaubt werden würde.

Nach intensiven Bemühungen erhielt die Berliner Fraueninitiative schließlich im Februar 1946 die Lizenz der britischen Militärregierung für den Bezirk Wilmersdorf. Die Lizenz für Großberlin bekam der „Berliner Frauenbund“, wie er sich dann nannte, erst im Dezember 1947 – zusammen mit zwei anderen Frauenorganisationen: dem kommunistisch dominierten Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) und der Notgemeinschaft 47, dem späteren Staatsbürgerinnen-Verband. So zeigte sich Agnes von Zahn-Harnack auf der ersten Mitgliederversammlung des „Wilmersdorfer Frauenbundes 1945“ am 24. Oktober 1946 schon recht zurückhaltend gegenüber dem großen Vorbild der Vergangenheit, an dem sie gleichwohl festhielt: „Wenn es auch gewiß heute noch zu früh ist, von einem ,Bund Deutscher Frauenvereine‘ zu schwärmen, so müssen die Fäden doch schon jetzt wieder angeknüpft werden.“

Die ersten Jahre des Wilmersdorfer Frauenbundes 1945 waren durch ein ungeklärtes Verhältnis zwischen politisch-theoretischer Reflexion und praktischer sozialer Arbeit geprägt. Dem sozialen Profil der Mitgliedschaft schien die halb erzwungene Arbeitsteilung mit den Frauenausschüssen durchaus entgegenzukommen. Unter den 300 bis 400 festen Mitgliedern waren mehr als die Hälfte Akademikerinnen. Im Oktober 1946 bekräftigte die Vorsitzende die Entscheidung für eine „Zielsetzung auf weite Sicht“ mit dem abschreckenden Verweis auf den politischen Mißbrauch sozialer Arbeit im Nationalsozialismus.

Dabei bewegten sich die Diskussionen in den Versammlungen des Wilmersdorfer Frauenbundes nicht etwa in abgehobenen Sphären. „Vom Nähfaden bis zur Atombombe ist alles Politik“ war ein geflügeltes Wort der Vorsitzenden. Zur Vorbereitung der Berliner Wahl im Herbst 46 wurde ein Kommunales Frauenprogramm aufgestellt, das in mehreren Versammlungen diskutiert wurde. Trotz immer noch katastrophaler Verkehrsverhältnisse und des Verzichts auf Werbung waren dazu durchschnittlich 150 Frauen erschienen. Viele der programmatischen Forderungen verraten insofern ihre Herkunft aus der alten Frauenbewegung, als sie mit großem Selbstbewußtsein die weibliche Zuständigkeit für soziale, familiäre und Frauenangelegenheiten auf den höchsten Entscheidungsebenen einklagten: bei der Planung von Wohnungen, der Vermittlung weiblicher Arbeitskräfte, der Besetzung von Leitungsfunktionen in der Familienfürsorge, der Schwangeren- und Wochenfürsorge, dem Hauptjugendamt und den Mädchenschulen.

Im März 1947 beschwor die neugewählte Vorsitzende des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD) den Wilmersdorfer Frauenbund, „sein hohes Niveau zu behalten“, das der DFD als Massenorganisation niemals haben könne. Die parteilose Ärztin Dr. Anne Marie Durand- Wever war zu dieser Zeit, als der DFD in der Nachfolge der inzwischen aufgelösten Frauenausschüsse gegründet wurde, noch Mitglied des „Wilmersdorfer“ und galt vielen vorübergehend als Hoffnungsträgerin für die Einheit der Frauenbewegung.

Doch andere, einflußreiche Kreise schätzten das Verhältnis der beiden Frauenorganisationen zur gleichen Zeit durchaus ungünstiger ein. So verriet der Informationsdienst der britischen Besatzungsmacht seinen Lesern, daß der Wilmersdorfer Frauenbund lediglich eine „kulturelle Bewegung“ für „berufstätige Mittelschichtsfrauen mittleren Alters“ und seine Leiterin ein bißchen „old-fashioned“ sei. Als ernstzunehmende Konkurrenz für den neugegründeten DFD komme er deshalb wohl nicht in Betracht.

Die hier angedeutete Chance nahm etwas später eine andere westliche Fraueninitiative wahr, die sich mit einem Schwerpunkt auf staatsbürgerlicher Bildung und sozialer Arbeit als antikommunistische Alternative zum DFD profilierte: Der zunächst als „Notgemeinschaft 47“ lizenzierte „Staatsbürgerinnen-Verband“ nahm ebenfalls den Faden der alten Frauenbewegung auf.

Nicht zuletzt also aus Konkurrenzgründen, aber auch „infolge der besonders schwierigen Lage von Berlin“ wuchsen dem Berliner Frauenbund, wie seine Vorsitzende 1949 fast entschuldigend einräumte, „Wohlfahrtsaufgaben zu“. Diese Formulierung deutet an, daß trotz des Bonmots von der Nähfadenpolitik kaum versucht wurde, diese Aufgaben mit einer politisch-theoretischen Bildungs- und Debattenkultur zu vermitteln. Darin unterschied sich der Frauenbund uneingestandenermaßen allerdings eklatant von der alten Frauenbewegung, auf die er sich berief. Deren Markenzeichen war es gerade gewesen, Frauensozialarbeit als Frauenpolitik zu reflektieren und zu organisieren.

In den 50er und 60er Jahren institutionalisierten sich die frauenbewegten Ansätze der Nachkriegszeit zu der zwar eindrucksvoll bundesweit vernetzten Frauenlobby des Deutschen Frauenringes und des Deutschen Frauenrates, die aber für die „Pionierinnen“ der Neuen Frauenbewegung ab 1968 nicht mehr als Bewegung identifiziert werden konnte.

Die Autorin ist beteiligt an einem vom Berliner Senat geförderten Forschungsprojekt zum politischen Wirken Berliner Frauen 1945 bis 1950, dessen Ergebnisse demnächst als Buch erscheinen werden.

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