■ Die Schlichtung im öffentlichen Dienst ist abgeschlossen: Ein Prozentchen für die Republik
Tarifabschlüsse sind Rechentricks. So auch der jetzt gefundene Kompromiß in den Schlichtungsverhandlungen für den öffentlichen Dienst. Eine Einmalzahlung von 300 Mark im ersten Jahr (entspricht 0,8 Prozent) und 1,3 Prozent mehr im Jahre 1997: Das sieht auf den ersten Blick gar nicht so schlecht aus. Wer aber ein bißchen genauer nachrechnet, muß zu dem Ergebnis kommen, daß der Abschluß weitaus niedriger ist als die Lohnsteigerungen in anderen Branchen. Der Trick: Die Einmalzahlung von 300 Mark, also 0,8 Prozent, in diesem Jahr geht nicht in den Tarifvertrag ein, erhöht damit also auch nicht die Basis für die vereinbarte Steigerung im kommenden Jahr. Im Schnitt bekommen die Staatsdiener somit nur ein Prozent mehr für eine gesamte Laufzeit von 20 Monaten. Das bedeutet umgerechnet auf ein Jahr nur ein Plus von 0,6 Prozent. Zum Vergleich: Die Bauindustrie vereinbarte 1,85 Prozent, die Chemieindustrie 2 Prozent für eine Dauer von einem Jahr. Der öffentliche Dienst liegt folglich weit darunter. Die Beschäftigten zahlen solcherart für die leeren Kassen bei Bund, Ländern und Gemeinden. Sie zahlen aber auch für eine große Sicherheit des Arbeitsplatzes, die den Kommunen eben nicht erlaubt, bei schwarzen Haushaltslöchern einfach mal ein paar tausend Leute zu entlassen und so die teuren Jobs für den Rest zu finanzieren.
Ein Prozent mehr, das bedeutet bei den derzeitigen Preissteigerungsraten und der kommenden Beitragserhöhung zur Pflegeversicherung real weniger in den Haushaltskassen. Aber das Argument mit den Reallohnverlusten zählt nicht mehr in der heutigen Situation. Die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst haben gezeigt, daß Lohn- und Gehaltstreits ein Frage der Maßstäbe sind. Und die haben sich gründlich verschoben, seitdem die Arbeitgeber eine Sonderkündigungsklausel für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und eine Verlängerung der Arbeitszeiten forderten. Für die ÖTV war es überlebenswichtig, beim Reizthema Lohnfortzahlung ihr Gesicht wahren zu können. Und für die Arbeitgeber bei Bund, Ländern und Kommunen muß es eigentlich von Anfang an klar gewesen sein, daß sich nun ausgerechnet im öffentlichen Dienst nicht als erstes am Krankenschutz rütteln läßt.
Entgegen allen Schmähungen des „Tarifkartells“ haben sich die Verhandlungspartner als anpassungsfähig erwiesen. Ein Prozentchen für die Republik mit den leeren Kassen. Barbara Dribbusch
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