: Die Schattenseiten der Psychiatrie
■ Zweiter Tag des Weltkongresses für Soziale Psychatrie in Hamburg
Die Schattenseiten der Psychiatrie bildeten den Schwerpunkt am zweiten Tag des 14. Weltkongresses für Soziale Psychiatrie am Montag in Hamburg. Der Größenwahn der Nazi-Psychiatrie, an dem die international bekanntesten deutschen Psychiater teilhatten, gilt hier nach wie vor als krassestes Beispiel.
Prof. Klaus Dörner aus Gütersloh sagte am Montag, auch die Psychosen der Obdachlosen, die Sonderstellung der psychiatrisch kranken Straftäter und die Diskriminierung der Frauen in der Psychiatrie zählten zu den Problemen, vor denen die Psychiater häufig die Augen verschließen.
Auf dem Kongreß fand der Vortrag der Bildhauerin Dorothea Buck besondere Beachtung. Die 77jährige zählt zu den rund 400.000 Menschen, die zwischen 1934 und 1945 von den Nationalsozialisten zwangssterilisiert worden sind. Über 1 000 – vor allem Frauen – fanden dabei den Tod. Der damals 19jährigen Dorothea Buck wurde von der Zwangssterilisation nichts gesagt, sie sei „regelrecht überrumpelt worden“, sagt sie, ohne die Möglichkeit zu bekommen, sich zu verteidigen. Gegen den Makel, als minderwertig zu gelten, kämpft sie noch heute mit einer Aktion zur Nichtigkeitserklärung der Urteile zur Zwangssterilisation, die damit einhergingen, als unwertes Leben abgestempelt zu werden. Alle Eingaben an die Bundesregierung durch den 1987 gegründeten „Bund der Euthanasie-Geschädigten und Zwangssterilisierten“ blieben jedoch bisher erfolglos.
Der Weltkongreß für Soziale Psychiatrie steht unter dem Motto „Abschied von Babylon – Verständigung über Grenzen“, wobei Babylon als Symbol für Größenwahn in Geschichte und Gegenwart der Psychiatrie steht. Erstmals gehören hunderte von Patienten zu den Mitgestaltern des Kongresses, an dem mehr als 3.000 Personen aus 50 Ländern teilnehmen. lno
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