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■ Die SPD vor dem ShowdownDie letzte Chance

Man kann sich jetzt schon vorstellen, was am Mittwoch abend nach der zweiten und dritten Lesung zur Änderung des Artikels 16 Grundgesetz übrigbleiben wird: eine am Boden zerstörte Sozialdemokratische Partei und eine Bundesrepublik, die ihren vornehmsten Verfassungsauftrag auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt hat. Die Rechte wird gleich auf mehreren Ebenen triumphieren. Sie setzt sich in der Sache durch und kann die Abschottung der BRD nun mit Vehemenz betreiben. Sie erreicht eine weitere Etappe auf dem Wege der Normalisierung, das heißt der Tilgung der praktischen Konsequenzen aus den Erfahrungen des Faschismus. Es soll schließlich der Eindruck erweckt werden, Deutschland sei immer so gewesen wie Frankreich, England und die anderen Nachbarn. Und drittens, quasi als Nebenprodukt, wird die sowieso schon in den letzten Zügen liegende Opposition noch einmal elementar geschwächt.

Wenn, wie absehbar, die Mehrheit der Fraktion gegen den sogenannten Kompromiß stimmt, aber trotzdem genügend SPD-Abgeordnete dafür, um der Koalition zu einer Zweidrittelmehrheit zu verhelfen, bleibt der Fraktionsführung eigentlich nur noch der Rücktritt. Klose sieht dies natürlich, ist aber offenbar fest entschlossen, mit offenen Augen in den Untergang zu steuern. Er sei nicht mehr gewillt, mit der CDU nachzuverhandeln, verkündete er am Wochenende. Entweder die Partei akzeptiere die Vorlage jetzt, oder sie gehe eben unter. Der Sozialdemokrat hat jedenfalls keine Lust mehr. Für diese Haltung gibt es einen klassischen Begriff: Politikunfähigkeit. Wie man mit so einer Situation umgeht, hätte Klose von Kohl lernen können. Als der mitbekam, daß die Mehrheit in der Unionsfraktion gegen die Autobahnvignette meuterte, war das Projekt vom Tisch, bevor es zu einem echten Gesichtsverlust für den Parteivorsitzenden wurde. Und als die CDU-Fraktion auf dem deutschen Awacs-Einsatz bestand, mußte Kinkel seine Truppe nach Karlsruhe schicken.

Klose dagegen hat sich selbst in die Klemme gebracht. Er kann sich der Mehrheit seiner Fraktion nicht mehr sicher sein und gibt der CDU/CSU trotzdem zu verstehen, daß die 50 Stimmen für die Grundgesetzänderung schon zusamen kommen werden. Klar, daß die CDU sich da gegenüber Nachbesserungswünschen stur stellt. Morgen hat die SPD-Führung eine letzte Chance, die Misere zu entschärfen. Wenn sie in der Probeabstimmung die Mehrheit gegen sich hat, muß Klose Nachbesserungen durchsetzen. Wenn die Union weiß, daß eine Verfassungsänderung so nicht durchkommt, wird sie zu neuen Verhandlungen ganz schnell bereit sein. Eine letzte Chance, wenigstens einen minimalen Rechtsschutz für Flüchtlinge zu erhalten. Jürgen Gottschlich

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