■ Die SPD sucht ihren Traumberuf: Angst vor dem Schmuddelgeruch
In der Lebens- oder gar Karriereplanung geht es in der Regel darum, etwas zu „werden“. Von der SPD wissen wir jetzt zumindest, was sie nicht werden will: Betriebsrat! Hatte erst Walter Momper als realpolitischer Wiederkehrer beim Ausrufen seiner Kandidatur für das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin betont, die SPD dürfe nicht der Betriebsrat in dieser Gesellschaft sein, so stieß alsbald Bundesgeschäftsführer Verheugen ins gleiche Horn. Nein, die SPD wolle Ideen und Visionen entwickeln und nicht etwa der Betriebsrat dieser Gesellschaft sein.
Einen klaren „Berufswunsch“ hat sie sich bislang verkniffen. Anwalt der kleinen Leute wollte sie auch einmal sein. Und hat dann in der Regierung Helmut Schmidt eines der ausgefeiltesten Programme zum Sozialabbau verabschiedet. Lang ist es her... Dann träumten einige führende Sozialdemokraten davon, den Geruch der Schmuddelkinder abzustreifen, um angesehene Wirtschaftsführer zu werden. Ex-Minister Lahnstein ging zum Medienkonzern Bertelsmann und verursachte, dies sei ohne Häme bemerkt, den „Absturz“ von VOX am Medienhimmel; Volker Hauff plante eine Karriere beim Springer-Konzern und schied nun in beiderseitigem Einvernehmen... Björn Engholm wandelte sich vom Saulus zum Paulus und verschmähte als erklärter Atomkraftgegner auch nicht ein karges Zubrot eines Energiekonzerns.
Aber Betriebsrat sein, das will niemand! Sich um gerechte Entlohnung kümmern, Kündigungen verhindern helfen, für bessere Arbeitsbedingungen streiten, dies alles scheint nicht attraktiv genug. Weil es gesellschaftlich zu gering geschätzt wird? Weil es zu unspektakulär ist? Gewiß, Betriebsräte können in der Regel nicht täglich gesellschaftliche Visionen am Reißbrett entwerfen. Sie arbeiten weitgehend im verborgenen als unermüdliche Anwälte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sind oftmals Prügelknaben beider Seiten im Betrieb. Und Schlagzeilen machen sie meist nur, wenn bei Massenentlassungen die Medien aus ihnen antikapitalistische Kritik herauskitzeln wollen. Fürwahr kein Job, um den man sich reißt. Aber ein notwendiger Job, wenn die Menschen in den Betrieben zu ihren Rechten kommen wollen.
Für die SPD zählt dies alles wohl nicht, sie strebt offenbar nach Höherem. Etwas, was weniger nach Blaumann und Gewerkschaften riecht. Schulterschluß hin, Schulterschluß her. Die nötige Bodenhaftung geht dabei verloren, von Volksnähe gar nicht erst zu reden. Aber es bleibt ein Trost: Nicht immer kann man seinen „Traumberuf“ ausüben, manchmal muß man mit dem zufrieden sein, was man bekommt. Womöglich ist dies dann doch der Posten des „Betriebsrats“. Dieter Pienkny
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